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Neue Zürcher Zeitung - 28.10.2008
Die grosse Explosion
"welt retten" am Steirischen Herbst

Wie eine Weltkugel sieht es aus, das meterhohe amorphe Ding vor dem Festivalzentrum des Steirischen Herbstes. In Wahrheit aber zeigt die Skulptur der Gruppe "raumlaborberlin" eine kosmische Explosion. Steht sie noch, die Welt, oder zerfällt sie schon in alle Teile? Solange letztgültige Befunde fehlen, ist noch Zeit für Massnahmen. "welt retten" nennt das diesjährige Avantgardefestival Steirischer Herbst ein an verschiedenen Orten stattfindendes theatralisches Projekt, das aus drei Kurzstücken besteht.

   "welt retten" ist der Imperativ der Stunde, aber war das nicht immer so? Mit Kreide sind die Namen von Dichtern auf eine Tafel geschrieben. Nach und nach werden sie gelöscht, bis nur noch einer übrig bliebt. "Brecht" steht dann leuchtend vor schwarzem Grund. Die Szene aus Godards Film "La Chinoise" wird in Johannes Schrettles Stück "kollege von niemand" zum Emblem. In einer kleinen Wohnung sind zwei Männer und zwei Frauen damit beschäftigt, revolutionäre Haltung anzunehmen. Den Text des österreichischen Autors lässt der argentinische Regisseur Mariano Pensotti in hartem Spanisch sprechen. Das gibt ihm wenigstens im Atmosphärischen jene Konkretion, die der politischen Lage fehlt. Wo der Feind steht, war schon in den sechziger Jahren Godards nicht klar auszumachen. Während Schrettles Figuren die Gesten aus "La Chinoise" nachahmen, bewerben sie sich in der Gesellschaft als "Feinde". Wollen sie nun Gegner der Polizei, des falschen Bewusstseins, der "herrschenden klasse" oder doch der "faulheit des eigenen körpers" sein?

   Das Stück des Österreichers Johannes Schrettle ist eine böse Satire auf jene Retter der Welt, die ihr Geschäft unter wechselnden Kostümierungen betreiben. Da hatte es die kroatische Autorin Ivana Sajko bei ihrem Entwurf etwas leichter. Die "Partitur" mit dem Titel "Rose is a rose is a rose is a rose" zeigt die Liebe in Zeiten des Krieges. Tumulte greifen in den Pariser Vororten um sich, als bei einem jungen Paar die Liebe ausbricht. Es brennt ein Bus, und die beiden tanzen den Pas de deux. Ivana Sajkos Choreografie der Körpernähe und der Poesie wird von der niederländischen Truppe Wunderbaum inszeniert. Leben und Tod sind in diesem präzisen und auf vier Personen aufgeteilten Text ineinander verschlungen. Der im Stück beschworene "Tumult" bleibt die Metapher für ein Dasein, das im Guten wie im Bösen aus den Fugen gerät. Während man rätselt, ob Dichtung dieser Art weit hinter den apokalyptischen Realitäten der Welt zurückbleibt oder ob sie diese utopisch überholt, hat man in Graz die wahre Verniedlichung der Umstände schon gesehen. Die Hunde Biffy und Wutz schickt der Schweizer Dramatiker Lukas Bärfuss in seiner belanglosen Fabel auf die Bühne. Zwei Schauspieler und zwei vom Regisseur Noel Dernesch abgefilmte Vierbeiner geben die Mär von der Revolution. Als Höhepunkt des Aufbegehrens wird dem hemmungslosen Hundehalter auf die Türschwelle gekackt. Die Welt will der Steirische Herbst diesmal retten, er rette aber auch sich selbst. Nimmt man alle drei Stücke zusammen, so war es einer der konzisesten Abende eines sonst zu grosser Beliebigkeit neigenden Programms.

Paul Jandl






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