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corpus - 09.10.2008
Subtile Transformationen
"DANCE #1 / DRIFTWORKS": ESZTER SALAMONS MIKROBEWEGUNGEN MIT CHISTINE DE SMEDT BEIM STEIRISCHEN HERBST

Es schüttelt und zuckt wieder: Mit  vollkommen anderem Ausdruck, aber ähnlichen Mitteln wie Meg Stuarts „Visitors Only“ hebt die neue Arbeit der ungarischen Choreografin Eszter Salamon „Dance #1 / Driftworks“ beim steirischen herbst an. Es liegt wohl auch an der großartigen Christine de Smedt, die jahrelang bei Stuarts Damaged Goods eine zentrale Rolle gespielt hat, dass die Assoziation zu den Arbeiten der Amerikanerin sich so aufdrängt. Doch „Dance #1" hat einen völlig anderen Zugriff. Expressiv wird der Tanz auch hier, doch das kraftintensive, rhythmisierte Zucken evoziert zunächst kein Bild, kein Setting und keine Geschichte.

Eine subtile Transformation vollzieht sich innerhalb der guten Stunde entlang der Achse zwischen den zwei gegensätzlichen Polen „Abstrakt“ und „Explizit“. Begonnen hat die Arbeit mit der Materialrecherche mittels der Body Mind Centering (BMC)-Improvisationsmethode nach Bonnie Bainbridge Cohen. Hatte Salamon für ihr früheres Stück „Nvsbl“ (2006) mithilfe der Methode eine extreme Reduktion erreicht, so wollte sie dieses Mal die Wahrnehmung von Bewegung als solche untersuchen, ohne damit eine weiterführende Stückidee zu unterstützen. Damit ist die Untersuchung das Zentrum des Abends, und der Zuschauer blickt in das Labor der Tänzerinnen.

„It could have been totally different"


Salamon und de Smedt sind Choreografinnen genug, um trotz der Visionsverweigerung einen dramaturgischen Faden durch das Material zu weben. Hilfreich ist dabei die wunderbare elektronische Musik von Terre Thaemlitz, die die beiden Künstlerinnen - ebenso die verwendeten Bewegungen - aus einer Fülle von möglichem Material selbst zusammengestellt haben, wie sie im Publikumsgespräch erklärten. Auch die Musik entwickelt sich von abstrakten Klängen, vereinzelten Klavieranschlägen und verzerrten Redefragmenten hin zu beinahe kitschig melodischen Gebilden, die kurz nach dem Entstehen schon wieder in sich zerfallen und erneut transformiert werden. „It could have been totally different“, meint De Smedt in Bezug auf die Gestalt, die der Abend so angenommen hat - und so selbstverständlich ist diese Aussage im Zusammenhang mit „Dance #1 / Driftworks“ gar nicht. „Wir haben uns gegenseitig beim Improvisieren beobachtet und auch alles mit Video aufgezeichnet. In diesen Aufnahmen und der Beobachtung haben wir Dinge gefunden, die dann zum Stück geworden sind. Wir haben also nicht gesucht und doch gefunden“, erklärt Salamon die Arbeitsweise.

In einfachen weißen Hosen und Shirts (extravagant ist nur der knallrote Nagellack dazu) betreten die beiden Tänzerinnen die black box der Bühne im Dom im Berg. Sie liegen auf dem Boden und rütteln vor und zurück, minimal, aber beständig, bis das Auge des Betrachters verwirrt ist und kaum noch zu unterscheiden mag, woher der Impuls für diese Bewegung kommt: Setzen ihn die Tänzerinnen oder werden sie vom Boden erschüttert wie bei einem Erdbeben? Aus der Horizontalen startet eine langsame Evolution in die Vertikale, und auch der Takt des Schüttelns variiert in seinem Tempo. Zeitlupenhaft transformieren die Körper, während sie in Highspeed permanent minimal bewegt sind. Die expressiven Körper bedienen sich auch ihrer Stimmbänder: Sirenengesänge der Darstellerinnen verweben mit den elektronisch generierten Klängen der Tonspur.


„Wie erkennen wir etwas als etwas?“

Im letzten Drittel wird es narrativ. Aus den Haltungen, die ihre Körper annehmen, wenn sie sein Zentrum und den Ursprung seiner Bewegungen in Hüfte und Po ansetzen, erinnern bei Salamon und de Smedt an Affen, Urmenschen oder Comicfiguren. Plötzlich ist alles Abstrakte verschwunden, und wir sind im explizit Narrativen angelangt. Kampfszenen, unterstützt durch gutturale Schreie aus weit aufgesperrten Mündern, beenden als physikalischer Dialog die Verschiebung vom einen Pol zum anderen. „Die Charaktere sind einfach entstanden, wir haben sie nicht geschrieben oder komponiert“, geben sich Salamon und de Smedt als Medien ihrer eigenen Arbeit.

„Wie erkennen wir etwas als etwas?“, war eine ihrer Ausgangsfragen. „Dance #1 / Driftworks“ zeigt in seiner offenen Anlage, dass die von narrativer Bedeutung befreite Bewegung, die nicht eine Emotion ausdrücken soll, sondern selbst eine Emotion evoziert, wie unterschiedlich jeder einzelne Besucher das Angebotene lesen kann. Und so hält die Arbeit seinem Publikum auch den Spiegel vor, in dem er seine eigene Wahrnehmung als solche erkennen kann. Die flüchtigen Körper in der Erinnerung und Erfahrung der verschiedenen Körpersysteme nach BMC dienen dabei als weiße Projektionsflächen für das Tanzkino im Kopf.


Judith Helmer






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