Falter - 10.10.2008
"Oh mein Gott, es war so blutig flach!"
Das Eröffnungswochenende des steirischen herbst im Schnelldurchlauf: Tarzan! Duras! Uhura!
Der Donnerstag. Das Schwierigste zuerst: die Eröffnung. Dabei stehen
Intendanten im Wesentlichen vor zwei Optionen: Entweder macht man
dezidiert Programm in einem Raum (Georg Nussbaumer im herbst 2006) oder
man macht den Raum selbst zum Programm (Staalplaat Soundsystem, 2007).
Dieses Jahr hat sich herbst-Intendantin Veronica Kaup-Hasler, wohl um
das Unglück, das mit den beiden ersten Varianten verbunden war, zu
vermeiden, für eine dritte entschieden: Die Eröffnung an sich war das
Programm. Klingt nach wenig. War es auch. Christoph Steinbrener und
Rainer Dempf hatten im Foyer der List-Halle ein Kirschlorbeer-Labyrinth
angelegt, "Damen" und "Herren" wurden durch getrennte Eingänge in die
Halle - als Bedürfnisanstalt? - geführt, die durch einen seichten
Wassergraben - das "Volksbad Waagner-Biro-Straße" - in zwei Hälften
geteilt war. Wollten die Männlein dann zu den Weiblein und zu den auf
deren Seite geparkten Prosecco-Flaschen, mussten sie durchs Wasser
waten oder mittels Lianen übersetzen. Dafür hatten die Männer das
Asia-Buffet auf ihrer Seite. Fast alle haben mitgeturnt, mancheiner
konnte gar nicht genug von der guten alten Tarzan-Jane-Routine
bekommen. Zitat Landeshauptmann
Franz Voves: "Uaaauauauahh!"
Nur: Zu Tarzan und Jane hatte in Graz vor Jahren schon Slavoj Zizek
alles gesagt. Was sonst blieb: "Der Partyschreck" ohne Peter Sellers.
Ohne Schreck, irgendwie auch ohne Party. Dafür mit gaaaaaaanz viel
Promille. Das sagt ja auch was über diese Stadt. Und dann entstand eine
seltsame Sehnsucht: Wo sind eigentlich die Zeiten hin, als die Menschen
bei Eröffnungen noch still zu sitzen und zuzuhören hatten und einander
danach fragten: "Hast du verstanden, was der Rühm da sagen wollte?"
Nächstes Jahr nehme ich ein Buch mit.
Der Freitag. Ein Raum,
der uns fehlen wird: Mit dem von raumlaborberlin unter dem Motto
"Moderato Cantabile" konzipierten Festivalzentrum im Joanneum ist dem
herbst die mit großem Abstand beste Setzung des ersten Wochenendes
geglückt. Ganz nah am Thema "Strategien zur Unglücksvermeidung" haben
die Architekten Jan Liesegang und Benjamin Foerster-Baldenius einen
anspielungsreichen Kunstraum geschaffen. Noah Fischers Pop-Arche ist
hier zu bestaunen, Reinhard Braun reißt in der Schau "Common Affairs"
allerhand Fragen zu privaten wie politischen Praktiken an, das
Kollektiv ekw 14,90 führt im Parterre ein seligmachendes
"Ersatzherbstlager", und in der Bar serviert Anthony Saxton dicke
Suppen, Saft und Spirituosen. Vom ersten Stock blickt man auf eine aus
"Zabriskie Point" abgeleitete Sperrholzexplosion. Und auf einen
Magnolienbaum, der dort zwar immer steht, aber - "moderato cantabile",
ruhig singend - an den gleichnamigen Duras-Roman gemahnt. Nur ein
"Barockpalais", wie die beiden Architekten zur Eröffnung meinten, ist
die 1895 fertiggestellte Hütte nicht. Macht aber nichts. Rockt trotzdem.
Der Samstag. The Comeback of Bildende Kunst! Die "white cubes" der
Galerien und Kunstinstitutionen haben heuer deutlich die Nase vor den
"black boxes", deren Bespielung bislang nicht so recht überzeugte. Das
war in den letzten Jahren ja eher umgekehrt. Jedenfalls hat das, was
Medienturm, Forum Stadtpark oder HdA zusammengestellt haben, durchwegs
Klasse. Beim traditionellen Samstag-Parcours waren daher fast nur
glückliche Menschen zu sehen. Als Christoph Schlingensief in der Neuen
Galerie über "The African Twintowers" sprach, produzierten die Massen
gar tropische Raumtemperaturen. "Es lebe das Bild ohne uns!", rief
Schlingensief. Und alle hörten zu. Geht ja doch! Meinetwegen hätte er
noch zwei Stunden reden können. Den Abend beschloss das britische
Pop-Starlet Bishi im Festivalzentrum, ganz im angesagten
Lieutenant-Uhura-Stil. "Oh my god, it's bloody flat!", hat sie gerufen.
Damit aber nur ihre verstimmte E-Sitar gemeint. Hätte auch sonst ganz
gut gepasst.
Thomas Wolkinger