Der Standard - 13.10.2008
Tanzen zwischen Kontrolle und Fuchtelei
Christine Gaigg und das Nature Theater of Oklahoma beim steirischen herbst
Im Zentrum eines Konzertabends beim Musikprotokoll im steirischen
herbst zeigten die Choreografin Christine Gaigg, der Komponist Bernhard
Lang und die Tänzerin Veronika Zott die Uraufführung ihres exzellenten
Stücks V-Trike .
Nach einem klangvoluminösen
Trompetenorchesterprojekt von Franz Hautzinger, Gomberg II Profile mit
ausdifferenzierten Strukturen, Fältelungen und Bögen, und vor der
überaus zarten, meditativen Improvisation Los Glissandos meets AMM plus
special guest Burkhard Stangl setzten die drei Österreicher einen
markanten Bewegungs-Sound-Livefilm-Act. Zott, mit der Gaigg nun bereits
zum wiederholten Mal zusammenarbeitet, ist eine der ganz seltenen
Tänzerinnen, die eine eigene, unverwechselbare Körpersprache entwickelt
haben. Die experimentierfreudige Choreografin und den renommierten
Musiker verbindet eine weit entwickelte Kooperationsgeschichte.
V-Trike ist trotz seiner konzisen Fassung von nur einer halben Stunde
eine Arbeit geworden, die das Verhältnis von Bild, Performance und Ton
auf eine neue, überraschende Ebene heben. Die Tänzerin bewegt sich auf
einer klangerzeugenden Platte, während ihr Körper in einer Mischung aus
vorab und live aufgenommenen Bildern auf eine Leinwand projiziert wird.
Gaigg selbst sitzt in der Nähe der Tänzerin als Regie führende
Beobachterin auf der Bühne und mischt die Bilder ab.
Es geht um
Kontrolle, Hierarchiefragen, Dominanzverhältnisse. Was an der
Oberfläche formal und radikal reduziert klingt und aussieht, ist also
in Wirklichkeit eine hervorragend gedachte und umgesetzte Analyse von
Machtverteilungen. Das Publikum im vollbesetzten Dom im Berg war
begeistert.
Leichte, gewitzte Kost
Auch die gehypte
New Yorker Performancegruppe Nature Theater of Oklahoma erntete mit
ihrem 2006 entstandenen Stück Poetics: A Ballet Brut im Grazer
Schauspielhaus viel Applaus.
Das Regieduo Kelly Copper und
Pavol Liska befriedigt eine europäische Sehnsucht nach leichter,
gewitzter Kost. Nachdem jenseits des Atlantiks der zeitgenössische Tanz
bereits in den 1990ern einen Mega-Crash hatte, von dem er sich aus
Mangel an Ressourcen nicht mehr erholte, tauchen nun in der Off-Szene
des Big Apple wieder interessantere Positionen auf. Nach der wilden
Choreografin Ann Liv Young erobert jetzt auch das Nature Theater of
Oklahoma die österreichischen Bühnen. Das Tanzquartier Wien zeigte im
Frühling eine Uraufführung mit dem Titel Chorégraphie , und der
steirische herbst hat die Gruppe bereits zum zweiten Mal eingeladen.
Während sich Chorégraphie als Erniedrigungsspiel gegenüber den
Gasttänzern im Stück selbst deklassierte, gingen Copper und Liska bei
ihren Poetics noch mit mehr Tiefgang vor. Darin zeigen sie aus Sicht
des Theaters, wie die Körperbewegung zur Fuchtelei flachgebügelt werden
kann. So setzen sie mit ironischer Geste ein Zeichen gegen
ästhetisierende Spektakelhaftigkeit und Selbstverliebtheit im Tanz.
Nur: das haben die konzeptuellen Strömungen in der europäischen
Choreografie allerdings schon vor zehn Jahren wesentlich besser und
integrer getan.
Die Oklahomas operieren mit dem Motiv des
Tanzens als Instrument zur Darstellung körperlicher Eklats ähnlich wie
die französisch- österreichische Gruppe Superamas. Doch Superamas'
künstlerische Konzeptionen und Umsetzungen sind wesentlich
intelligenter und kompromissloser.
Trotzdem ist Poetics eine
nette, heitere Arbeit, in der das amerikanische Talent für Kabarett und
Klamauk auf vergnügliche Art zum Ausdruck kommt. Ein richtiger
Systemverstärker also für jene neoliberale Kunst, in der alles
Kritische so hübsch verpackt wird, dass es nicht wehtut.
Helmut Ploebst