Dieser Tage reiben sich die Grazer Bürger jedoch die Augen: "Offenheit für das Fremde. Toleranz für das Andere", ist nur eines von mehreren Zitaten, die auf Plakatwänden an verschiedenen Stellen der Stadt zu lesen sind. Und alle stammen sie von Susanne Winter, deren Namenszug quer über den unteren Plakatrand läuft - auf einem Streifen in den FPÖ-Farben blau und gelb.
Die Irritation sitzt. Ja, hat denn Winter
plötzlich eine 180-Grad-Wende vollzogen und ist unter die von ihr
bisher so geschmähten "Gutmenschen" gegangen? Wohl kaum. Zwar legt sie
demnächst ihr Mandat im Gemeinderat nieder. Aber nur, weil ihr Ende
September bei den österreichischen Nationalratswahlen auch gleich noch
der Sprung nach Wien ins Parlament gelang. Dank des erneuten Spiels auf
der Klaviatur der Ressentiments in einem Wahlkampf, bei dem die FPÖ
zusammen mit dem gleichgesinnten BZÖ Jörg Haiders nur kurz vor dessen
Rasertod fast ein Drittel aller abgegeben Stimmen kassierte.
Die Statements für kulturelle Vielfalt und
Religionsfreiheit haben Frauen geäußert, die nur den Namen mit der Dame
von Rechtsaußen gemeinsam haben. Auf Großplakate und Dreieckständer,
bereitgestellt von der Außenwerbungsfirma Ankünder, hat sie der
Aktionskünstler und Sozialhistoriker Joachim Hainzl gebracht – zusammen
mit dem Kunstverein "Forum Stadtpark". Die Aktion im Stil des
Adbustings der konsumgesellschaftskritischen Kommunikationsguerilla
trägt den allegorischen Titel "Winter im Herbst", denn sie findet im
Rahmen des Steirischen Herbstes statt – ein alljährliches Kulturevent,
das Graz über die Jahrzehnte den Ruf als kunstsinniges,
aufgeschlossenes Gemeinwesen beschert und mit dafür gesorgt hat, dass
die steirische Kapitale zur europäischen Kulturhauptstadt des Jahres
2003 erkoren wurde.
Manche Bürger sehen das Image von Graz längst als ramponiert an, angesichts der Tatsache, dass die örtlichen Rechten Migranten muslimischen Glaubens und andere Bevölkerungsgruppen ungestraft öffentlich verunglimpfen können und dafür auch noch von den Wählern belohnt werden. Für progressive Ideen herrscht zunehmend Platznot. Und dazu passt, dass die Kuratoren des Steirischen Herbstes in diesem Jahr das Feld des Künstlerischen nach "Strategien der Unglücksvermeidung" abgesucht haben – als ob nur mehr das Ausweichen vor den zahlreichen Katastrophen, wie Finanzkrise, Klimawandel oder der politische Triumph der Rechten, state of the art sei und nicht das konfrontative Entgegenstellen von Alternativen.
Die in Graz zu sehenden künstlerischen
Interventionen im öffentlichen Raum passen aber so gar nicht in das
defensive Schema, dass das aktuelle Herbstmotto den eingeladenen
Künstlern nahe legt. Der Berliner Martin Kaltwasser etwa lässt nicht
nur im Haus der Architektur zwei aus Wegwerfmaterial maßstabsgetreu
konstruierte SUV-Modelle vom Typ Porsche Cayenne ineinander krachen,
sondern baut täglich über drei Wochen aus den Einzelteilen eines
ausgemusterten Peugeots Fahrräder zusammen - mitten auf einer vom
Autoverkehr umtosten, innerstädtischen Parkfläche. Nicht wenige
Besitzer dort abgestellter Fahrzeuge sind schon von Kaltwasser ins
Gespräch gezogen worden und haben sich schließlich von ihm überreden
lassen, auf dem Parkplatz eine Runde mit einem Gefährt zu drehen, das
direkt dem apokalyptischen Setting der "Mad Max"-Filme entsprungen sein
könnte.
Noch offensivere Überzeugungsarbeit will Joachim Hainzl, der im Forum Stadtpark an der Programmplanung beteiligt ist und seit über zehn Jahren in interkulturellen Initiativen arbeitet, mit "Herbst im Winter" leisten. Am Tag vor Haiders Beerdigung baut er, wie schon mehrfach während des Kunstfestivals, seinen Infostand auf einem Grazer Innenstadtplatz auf, um die Plakataktion durch die Diskussion mit interessierten Bürgern zu flankieren. Eine weitere Strategie gegen die unglücklichmachenden Gefühle der Ohnmacht, Resignation und Ratlosigkeit, die von der rechten Politik ausgelöst werden. So sagt es der Flyer, der Hainzl den Leuten auf der Straße in die Hand drückt.
Einer Klasse von Berufsfachschülern erklärt er,
dass das Forum Stadtpark sämtliche Susanne Winters in Österreich
antelefoniert habe. Er wollte die Frauen dafür gewinnen, ihren Namen
für die Grazer Kampagne gegen Rassismus und Intoleranz herzugeben. Aber
nur eine war dazu bereit – eine Salzburger Professorin deutscher
Herkunft. Und es fand sich noch eine weitere Susanne Winter aus
München. Diese habe die rassistischen Aussagen der Namensvetterin nicht
unwidersprochen hinnehmen wollen. Schließlich sei zum Beispiel ihren
eigenen Eltern unterstellt worden, die FPÖ-Politikerin wäre ihre
Tochter.
"Das Zögern der übrigen Susanne Winters", so
Hainzl, "beweist auch, dass das, was eigentlich für jeden
selbstverständlich sein müsste, nämlich öffentlich gegen Lügen über den
Islam und Beschimpfungen von Migranten eintreten zu können, schon
längst durch vorauseilenden Gehorsam und Selbstzensur beschnitten
worden ist." Die Rechtspopulisten dominierten über Monate mit ihren
Plakaten die Straße. Umso dringlicher sei es, den öffentlichen Raum von
Graz, das immerhin auch den Titel "Menschenrechtsstadt" trägt,
zurückzuerobern.
Zunächst mag man den Eindruck gewinnen, Hainzl
übertreibe mit seiner Rede von der rechten Hegemonie: Überall im Grazer
Zentrum werben die Kommunisten, die auch im Gemeinderat vertreten sind,
für eine Veranstaltung zum Thema "Gentrifizierung auf dem Land?“
Passanten lassen sich von Hainzl bereitwillig Infomaterial über
Flüchtlingsinitiativen aushändigen, und unter den anwesenden Schülern
finden sich einige Jugendliche mit angedeuteter Punk-Attitude.
Doch diese erhalten schließlich praktischen Anschauungsunterricht in Sachen unverhohlener Alltagsrassismus auf der Straße. Wie bestellt für eine Perfomance, tritt eine ältere Frau direkt an den Infostand heran und weist für alle laut und vernehmlich im breiten steirischen Dialekt darauf hin, dass man sich von den "Negern" sage, sie würden nach Österreich kommen, Bezüge vom Staat kassieren und dafür den ganzen Tag faul im Bett herumliegen. Es ist nicht schwer zu deuten, dass das auch ihre persönliche Meinung ist. Hainzls Entgegnung, dass "Neger" ein Schimpfwort sei, lässt sie nicht gelten. Schließlich stehe diese Bezeichnung ja in ihrem Wörterbuch. Den Hinweis, dieses könne überholt sein, wischt sie weg mit einem ruppigen "A Nega bleibt a Nega!" Ganz im Sinne von FPÖ-Frau Susanne Winter, die auch schon mal offenherzig zum Besten gibt: "Ich werde sicher nicht meinen Enkelkindern die zehn kleinen Schwarzafrikanerlein vorlesen."
Das junge Gesicht der Rechten
Während sich der Disput zwischen Hainzl und der
Frau fortsetzt, erklärt ein Mädchen aus der Schülergruppe, dass der
Drall nach rechts auch unter Jugendlichen in ihrer Umgebung zu
beobachten sei. Einige Jungs aus der Schule seien Mitglieder von
Burschenschaften mit engem Kontakt zur FPÖ und BZÖ. Zufällig sei sie
auf eine Cocktailparty einer dieser Verbindungen geraten und geschockt
gewesen über die vom Alkohol befeuerten Hasstiraden der Gäste auf alles
"Andersartige".
Hainzl zeigt später eine SMS, die nach dem
Ableben Jörg Haiders unter Jugendlichen kursiert. Holprig gereimt
lautet sie: "Er war ein großer Mann der Nation, des Kärntner Volkes
größter Sohn. Jörg Haider unser Freund, Jörg Haider unser Held, Kämpfer
für eine gerechte Welt!" Gefolgt von der Aufforderung, die SMS an viele
Freunde weiterzuleiten und eine Gedenkminute einzulegen. "Mir hat ein
Jugendlicher, der keinerlei Sympathien für die Rechten hegt, erzählt,
dass er gleich achtmal solche SMS erhalten habe. Da wird bewusst ein
Massenhype mit Heldenverehrung unter Jugendlichen erzeugt", glaubt
Hainzl.
Dass die Rechten bei der österreichischen Jugend ziehen, beweist nicht zuletzt auch das Ergebnis der Nationalratswahlen. Bei den Unter-30-jährigen wurde allein die FPÖ vor den beiden Volksparteien ÖVP und SPÖ stärkste Kraft mit 25 Prozent. Und in Graz sind nicht nur die Wähler von FPÖ und BZÖ jung, sondern gerade auch deren lokale Mandatsträger. FPÖ-Gemeinderat Armin Sippel, Jahrgang 1977, meint zum Beispiel: "Eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben der Frau ist es, Kinder zu gebären." FPÖ-Gemeinderat Roland Lohr, Jahrgang 1980, findet: "Steuergeld ist für den Ausbau der betrieblichen Lehrlingsförderung und nicht für asoziale Punks und andere Randgruppen zu verwenden." BZÖ-Gemeinderat Gerald Grosz, Jahrgang 1977, sagt: "45 Prozent der Moslems sind nicht integrationsfähig und integrationswillig und haben daher auch in unserem Land nichts verloren. Moscheen und Gebetsräume des Islam dienen dazu, Nachwuchsterroristen anzuwerben."
Susanne Winter gehört also quasi zum alten
Eisen und hat ihre gesellschaftliche Aufgabe längst erledigt. Ihr
eigener Nachwuchs ist als Obmann des Steirischen Rings Freiheitlicher
Jugend, der FPÖ-Jugendorganisation, tätig und erweist sich ganz als
Apfel, der nicht weit vom Stamm gefallen ist. Anfang Oktober kassierte
der 20-jährige Michael Winter eine Verurteilung zu drei Monaten Haft
auf Bewährung wegen Aufrufs zu Hass und Verachtung. In einem Beitrag
für das Presseorgan seiner Organisation hat er Muslimen eine Tendenz
zur Sodomie unterstellt und als "Sofortmaßnahme" gegen Vergewaltigungen
in Graz gefordert, "eine Schafherde im Stadtpark grasen" zu lassen.
Auch seiner Frau Mama droht ein Prozess wegen Verhetzung. Sie hatte den Propheten Mohammed als Kinderschänder tituliert und soll bei einer Wahlveranstaltung an einer Schule ein "Tierbordell" für Graz gefordert haben, "damit die muslimischen Männer dorthin gehen und sich nicht an Mädchen im Stadtpark vergreifen können". Dem Strafverfahren kann sie sich aber zunächst wohl durch ihren Aufstieg zur Nationalrätin entziehen, da sie so in den Genuss parlamentarischer Immunität gelangt.
Durch die Plakataktion von Hainzl und dem Forum
Stadtpark fühle sie sich geehrt, ließ FPÖ-Frau Winter verlautbaren. "Da
blieb ihr auch nichts anderes übrig", meint Hainzl. "In der
Vergangenheit war sie sonst immer sehr klagefreudig. Aber auf ihren
Namen hat sie nun mal kein Copyright." Um ihr auch ja keine
Angriffsfläche zu bieten, wurden schließlich auch die Wohnorte der
beiden andersdenkenden Susanne Winters in kleineren Lettern unter den
Namenszug auf die Plakate gesetzt.
Am Donnerstag kommen die zwei Namensgeberinnen der Kampagne zur Finissage nach Graz, um sich über ihre Motivation zur Teilnahme zu äußern. Dann soll auch die Reaktionen der Öffentlichkeit auf "Winter im Herbst" bilanziert werden. Hainzl ist schon jetzt zufrieden: "Das Projekt hat gezeigt, dass es möglich ist, auch mit feiner Ironie, sich den öffentlichen Raum wieder ein wenig anzueignen. Bei den Infoständen hat man zwar stundenlang mit Menschen zu tun, die einen mit ihren kruden Rasse- und Überfremdungsdiskursen zwangsbeglücken. Aber es gibt auch sehr viele – und darunter überwiegend Jugendliche – welche die Aktion sehr gut finden. Die Rassisten sind weiter in der Minderheit, sie schreien eben nur lauter.“
Der Steirische Herbst geht langsam seinem Ende zu und die Plakate für Offenheit und Toleranz werden wieder verschwinden. Tatsächlich bricht bald die Winterzeit in Graz an. Zu hoffen ist, dass das aber nur streng klimatologisch der Fall sein wird.