Falter - 15.10.2008
Explosion am Balkon
Der steirische Gourmet
Seit dem Jahr 1995 gibt es die schöne Tradition im steirischen herbst,
ein temporäres Beisl namens herbstbar aufzusperren, heuer ganz
bescheiden als „Café” bezeichnet. Waren es in den ersten Jahren
Experimente wie die Bar im Lichtschwert, die vor allem auf
Nachtschwärmer bleibenden Eindruck hinterließen, so funktioniert die
herbstliche Gastronomie nun von früh bis spät. Im Festivalzentrum
Joanneum befindet sich im ersten Stock ein ausgesprochen schönes helles
Restaurant. Die Innenarchitektur des Lokals und das begehbare Kunstwerk
am Balkon vor dem Gebäude thematisieren eine Szene aus Michelangelo
Antonionis Film „Zabriskie Point”, in der alles in Fetzen fliegt. Die
Gestalter des raumlaborberlin folgen dabei der Erkenntnis, dass es im
Inneren einer Explosion keine Farben gibt. Die verwendeten Grau- und
Weißtöne sind allerdings keineswegs langweilig. Endlich fällt auch
Licht in das altehrwürdige Museumsgebäude, das sich bisher so gern von
der Neutorgasse abschottete. Betrieben wird das Café von Anthony
Saxton, den man in Graz niemandem mehr vorstellen muss. Vom Rauberg
über die 03-Bar bis zum Rondo reicht der Erfahrungsschatz des
Lokalchefs, der im Joanneum die Rolle des Chefkochs mit Begeisterung
einnimmt. Neben zweierlei Frühstücksangeboten (ab € 3,80) gibt es
Ciabatta mit Prosciutto und Grana oder mit Brie und Preiselbeeren,
Frankfurter mit Senf plus Semmel, Tagessuppen, Pasta, Couscous und zwei
täglich wechselnde Mittagsgerichte. Das vegetarische Menü (€ 5,80)
bietet in unserem Fall Nudeln mit Tomaten und grandiosen gelben Rüben
samt einem knackigen gemischten Salat. Wer noch 40 Cent drauflegt,
bekommt Meerestiere auf die Nudeln, auch das sehr schmackhaft, wiewohl
logischerweise nicht fangfrisch aus der Adria. Ein Extralob verdient
der hausgemachte Marmorkuchen, der flauschig-warm und nicht übersüßt
ist. Und die sehr guten herbst-Weine von Lackner-Tinnacher und
Winkler-Hermaden sind bekanntlich auch nicht zu verachten.
Resümee
Das herbstcafé ist auf Anhieb zu einem der schönsten kleineren
Restaurants der Stadt geworden. Man bedauert jetzt schon das nahende
Ende. Bis zum 26. Oktober bleibt noch Zeit, um das Joanneum in neuem
Licht zu erleben.
Wolfgang Kühnelt