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corpus - 21.10.2008
Der Tod ist ein Teddybär
Das Meisterwerk "Jerk" von Gisèle Vienne beim steirischen herbst 2008

„Humanity is Overrated“, steht in schnörkeliger Antikschrift auf dem coolen grauen T-Shirt des Puppenspielers zu lesen, ein Malmot, das dann sichtbar wird, wenn der Darsteller seine Jacke öffnet, auf deren Vorderseite das Wort JERK zu lesen ist: Trottel. Jonathan Capedevielle ist der Erzähler, der Puppenspieler, der Bauchredner und der Mitspieler. Er sitzt auf einem Sessel, verlegen und wie auf Entzug zitternd. Um Sympathie heischend. Sanft wie geläutert.

Die Geschichte, die er zu erzählen hat, wird ihn - die Puppe also, die er selbst spielt - als Monster, als Mitläufer beim Serienmord, als einen entlarven, der mit der Kamera dabei war, als es geschah. Der die Linse auf das Geschehen richtete. Unter der Behauptung „Jerk“, die den Titel der Soloperformance bildet, ist auch ein Bild verborgen: Sobald Capedevielle den Reißverschluß seiner Jacke aufzieht und diese Jacke so zum Theatervorhang wird, der, wenn er aufgeht, das Eigentliche enthüllen soll, wird nichts anderes sichtbar als das Bild einer Figur, die mit ihren Händen ein Schattenspielchen macht. Der Schatten zeigt ein Tier, das einem Wolf ähnelt. Das eigentliche Puppenspiel spielt sich davor ab, im Proszenium des Schoßes, den Knien des Spielers. Dieser ersucht das Publikum zweimal, je eine Textpassage aus einem „Fanzine“ zu lesen, das vor Beginn des Stücks ausgeteilt worden ist. Zweimal also wird die Performance unterbrochen, der Blick wendet sich von der Szene ab und versenkt sich in ein Druckwerk.

Beichten als Capricho

Damit bricht die Regisseurin Gisèle Vienne die Kontinuität des Live-Ereignisses und lenkt die Wahrnehmung des Zuschauers in ein anderes Medium, eines, das die Vorstellungskraft über das Lesen aktiviert. Vom Aufnehmen der Bilder schaltet die Perzeption auf die Produktion von Imaginationen um. Das ist mehr als ein Hinweis auf die Romanvorlage von Dennis Cooper, es ist eine Verschiebung und ein Bruch, auch mit der Deklaration, das kleine Heftchen sei ein „Fanzine", ein Tool der Jugendkultur, ein mediales Gespenst der Popkultur. Dieses weist aber in eine andere Richtung, in ein weiteres Genre, das durch dieses Puppenspiel von Capedevielle in eine Performance übersetzt wird: den Splatterfilm.

Hier führt Vienne weit über die Puppenspielüberlegungen hinaus, die etwa Asta Gröting vor fünf Jahren mit „Inner Voice“ vorgeschlagen hat, über das proszenische Bildkonstrukt der Aktivierung einer Skulptur. David Brooks, die Live-Puppe des Bauchredners Jonathan Capedevielle, spielt die makabren Abläufe der Mordperformances des Killers Dean Corll nach, der in den 1970ern in Texas mehr als zwanzig junge Männer umbrachte. Er bringt die Poesie des Tötens als Bekenntnis, als Beichtliteratur vor. Der Spieler Capedevielle gesteht das Geständnis von Brooks vor den Geschworenen des versammelten Publikums ein, bereitet seinen Richtern seinen Bericht in einer literarischen Berichtigung auf, die über die Tat des Spielens auf das Spiel in der Tat hindeutet, auf das Schattenspiel der Feststellung „Humanity is Overrated". Ein Hinweis von Goyaschen Ausmaßen auf die Caprichos der Destruktivität, und das mit den Mitteln einer thanatosgeladenen Komödie, die die Desastres der Menschlichkeit im Krieg gegen sich selbst vorführt.

Ein cooles Emotionsgerät

Dean Corll ist eine Puppe mit Teddybärmaske, die in De Sadescher Opulenz den Spaß am Foltern und Töten vorexerziert. Das Kleinformat wirkt hier wie ein Vergrößerungsglas. Die Puppen - von Gisèle Vienne, die drei Jahre lang die École Supérieure Nationale des Arts de la Marionette in Charleville-Mézières besucht hat, und Dorothéa Vienne Pollak - strahlen eine morbide Erotik aus. Die Vorlage ist pure Pop-Literatur, und die 70er Jahre sind in die Jugendmodestyles der Gegenwart projiziert. Unter der Verlegenheit des Erzählers knistert eine beständige Spannung, die sich ganz in die Aktivitäten der Puppen entlädt. Als Capedevielle einen langen Monolog als Bauchredner hält, öffnet sich sein Inneres, dann spricht etwas aus ihm, das ihn zu einem Emotionsgerät macht - wie es das Theater oft selbst ist: eine stumpfe Maschinerie, die nur noch aus Selbstbedacht weiter vor sich hinstampft.

Vienne hat diese Arbeit, wie ihre früheren auch, mit einer umwerfenden Detailkenntnis aller Ebenen des performativen Spiels auf- und umgesetzt. Die 32jährige Choreografin, Performerin und bildende Künstlerin bewegt sich in einer präzise definierten Ästhetik, die zuweilen mit den distanziert-sexy Bildwelten des Goth-Manga vergleichbar ist. Und Capedevielles Performance setzt das Stück, den Plan, diesen Anschlag auf jede Gewißheit, man wüßte schon, was das beste auf der Bühne sei, meisterhaft um.



Helmut Ploebst






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