Die Furche - 09.10.2008
Schau genau oder: Inszenierter Ernstfall für Gesättigte
Veronica Kaup-Hasler hat ihr Handwerk als Festivalmanagerin mit
Schwerpunkt Dramaturgie vor allem in Deutschland gelernt. Manchmal ist
das ein wenig verräterisch. So zum Beispiel, dass die Eröffnungsidee
zum diesjährigen Festival, das sich den "Strategien zur
Unglücksvermeidung" verschrieben hat, ganz unwidersprochen als
"Volksbad" durchgehen durfte. Als beim gemeinen Volk noch allgemeiner
Hygienemangel vorherrschte, hat man als soziale Leistung, von den
Reichen gestiftet, die Volksbäder eingeführt, die in Österreich aber
"Tröpferlbäder" hießen. Da heute die Badekultur aus fernöstlichen
Reinigungsritualen und Thermenwellness besteht, hat man dieses
Lebensgefühl für eine zündende Idee zur Eröffnung des steirischen
herbsts gehalten.
Die von Christoph Steinbrener und Rainer
Dempf konzipierte raumgroße, begeh- und mit fünf hängenden Seilen
beschwingbare Installation hatte den Auftrag, durch einen schmalen
Wassergraben die Halle in zwei ungleich große, nach Geschlechtern
geteilte Territorien zu trennen: die mit Sitzstufen versehene Hälfte
für Frauen mit Aussicht, die jenseits des stehenden Gewässers gelegene
Seite für Männer. Sich an Tarzanfilme erinnernd, schwangen sich gerade
die zahlreich erschienenen VIPs, von der Tagespresse am nächsten Tag
bildwirksam bedankt, besonders gerne ans andere Ufer.
"Liebe Badegäste!"
Unterbrochen wurde dieses Indoor-Abenteuer nur mehr durch die
Eröffnungsrede der Intendantin, die das Publikum zwar als "Liebe
Badegäste" ansprach, sich aber in der Folge nicht als Bademeisterin,
sondern als selektive Programmvorstellerin mit Teameinblick und 100
Best-off-Listenpunkten für unterschiedliche Handlungsoptionen zur
Vermeidung des Unglücks präsentierte (a wie abdunkeln, i wie impfen
oder z wie zusammenrücken). Was auch die einzige Intervention von außen
war, ehe man jenseits des Tales das Selbstbedienungsbuffet mit
Bastelanleitung für die Shrimps- und Gemüsestreifenzubereitung
errichtete. Spätestens zu diesem Zeitpunkt waren Strategien zur
entspannten Nahrungsaufnahme gefragt. Ein inszenierter Ernstfall für
Gesättigte.
Für Treffen außerhalb programmatischer
Selbsterfahrungsunterstützung richtet der Herbst auch heuer wieder ein
Festivalzentrum ein - im derzeit leeren Stammhaus des Joanneum, dessen
Hülle aus dem späten 19. Jahrhundert demnächst die Neue Galerie bergen
wird. Die weitläufige Örtlichkeit nützte das Architektenduo
"Raumlaborberlin" für eine Hommage an das Roadmovie "Zabriskie Point".
Monochrom graue Felsreliefräume, die über einem vor dem Eingangsportal
aufgestellten Explosionsball aus Holzbrettern zu begehen sind, die
einmal Teil der inneren Ausstellungsarchitektur waren. Auffällig oft
wurde von den Berlinern dabei der so faszinierende Barock (!) erwähnt,
den sie brechen wollten. Auch das ging durch: Historismus als Problem,
das war einmal - wir haben andere, in der Tat. Und stellen uns dennoch
ungewöhnlich kindlich.
Barbara Rauchenberger