Kronen Zeitung - 12.10.2008
Schräges Ballett der Nichttänzer
Nature Theater of Oklahoma beim "steirischen herbst"
Ein Wiedersehen mit der New Yorker Kult-Truppe Nature Theater of
Oklahoma brachte der "steirische herbst" mit "Poetics: A Ballet Brut"
im Grazer Schauspielhaus. Kelly Copper und Pavol Liska lassen in dieser
Produktion vier professionelle Nichttänzer zu einem hinreißenden
Tanztheaterabend antreten.
"Poetics: A Ballet Brut" ist
eigentlich der Vorläufer der Produktion "No Dice", die im vergangenen
Jahr für Furore gesorgt hat - und es ist zugleich auch das Gegenteil zu
dieser wortlastigen Vierstundenproduktion. In nur einer Stunde und ganz
ohne Worte erzählen die vier hinreißenden
Protagonisten diesmal wunderbare Geschichten - von Nähe und Distanz,
Gruppenbildung und dem Bestreben nach Individualität, von seltsamen
gesellschaftlichen Konventionen und Ritualen sowie von der puren Freude
am Performen und am Tanzen.
All das wirkt auf den ersten Blick
simpel gestrickt, aber aus den banalen alltäglichen Gesten, die diesmal
das Vokabular der Truppe ausmachen, entwickelt sich eine hochspannende
Choreografie, die nicht nur nette kleine Beziehungsgeschichten erzählt,
von Liebe, Leid, Schmerz und Freude berichtet, sondern auch ganz
grundsätzlich über das Theater nachdenkt. Auf eine ungemein kluge Art
werden hier Räume erobert und verteidigt, wird die Situation des
Darstellers offen gelegt und die Position des Publikums hinterfragt.
Dass die vier Darsteller, Anne Gridley (ihrer wunderbaren Mimik könnte
man stundenlang zuschauen), Robert M. Johanson, Fletcher Liegerot und
Zachary Oberzan offensichtlich keine professionellen Tänzer sind, macht
die Sache nur noch spannender. Wie sie auf einem famosen Klangteppich -
von Abba bis Eric Carmen, von Donna Summer bis Man Without Hats - auf
witzige, kluge, sehr durchdachte Weise mehr und mehr abheben, das macht
einfach Spaß. Ein fulminantes Finale sorgt schließlich noch dafür, dass
es das Publikum kaum noch auf den Sitzen hält. Ein toller Abend!
Michaela Reichart