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Falter - 10.10.2008
Ich kam, sah, Signa: Mein kurzes Leben als Bill
Sieben Stunden in der Krankenhausinstallation Komplex Nord verlangen einiges vom "Patienten".

12 Uhr mittags, die ersten Patienten trudeln im hinteren Trakt des Festivalzentrums des steirischen herbst ein, dort, wo das dänisch-österreichische Performerduo Signa seine theatralische Dauerinstallation "Die Komplex-Nord-Methode" betreibt. Schwester Fleur Belle bringt uns nach oben zur Rezeption. Dort lesen wir uns die Broschüre "Ihre Pflichten als Patient" durch. Da wird schon klar, wo die Reise hingeht. In die Entrechtung. Schwester Zucki nimmt mich an der Hand und bringt mich zu meinem Bett. Ich muss mich ausziehen, meine neuseeländische Kette abnehmen, meine ganzen Habseligkeiten abgeben, in eine fleckige Unterhose und ein grobes, weißes Patientenhemd schlüpfen. Vor neugierigen Blicken schützt nur ein notdürftig vor mich gehaltenes Leintuch. Das findet sicher mancher befremdlich. Die junge Dame neben mir kichert nur. Jetzt bekomme ich noch ein Namensschild angesteckt. Billy Asten heiße ich neuerdings. Schwester Zucki erklärt mir, dass ich ja schon öfters da war und meinen Namen doch wissen müsste. Mir fällt ein, dass mein Blutgelbstoff erhöht ist, und ich erkläre ihr, dass ich gar nicht Billy Asten, sondern Billy Rubin heiße.

Eine Dose Raumspray

Oberärztin Chaikin streicht sich ihre strenge Herrenfrisur zurecht. Wir Patienten setzen uns im Halbkreis. "Die Komplex-Nord Methode", die uns von unserer Amnesie befreien soll, wird uns nun nähergebracht. Schwester Fleur Belle kniet neben dem Overheadprojektor und drückt den kaputten Schalter, bis der Finger blau anläuft. Ein kleiner Sozialtest? Wird sich einer von den Gästen erbarmen und ihr helfen? Die Ärzte in ihren weißen Kitteln und die Schwestern in ihren pastellblauen Kunstfaserkostümen stehen hinter uns und bohren uns ihre Blicke in den Nacken. Unaufhörlich rauchen sie, verpesten die ohnehin entsetzliche Luft mit kleinen Nikotinwölkchen, die sich langsam, aber sicher zu einem Unwetter zusammenbrauen. Die Patientin rechts von mir explodiert dann auch wie erwartet wegen des Zigarettenkonsums. Unmöglich sei es, dass ständig geraucht würde. Ja, hier sitzen wir, und man kann auf uns spielen wie auf den weißen Tasten eines Klaviers. Dr. Chaikin bedeutet der spanischen Raumpflegerin Abhilfe zu schaffen. Rosita versprüht darauf mit Inbrunst eine ganze Dose Raumspray, und wem jetzt nicht schlecht ist, der kann kein Guter sein.

Zur Auflockerung singen wir deutsche Volkslieder. Um drei Uhr gibt es Mittagessen. Bis dahin ist der Terminplan voll mit Therapieprogrammen. Wenn man auf die Toilette will, wird man von der Schwester hingebracht und auch sonst keinen Augenblick aus den Augen gelassen. Zur Sicherheit wird jeder Raum auch mit Kameras überwacht. In den Vitrinen liegt allerhand ärztliches Zubehör, das man lieber nicht näher kennenlernen möchte. Jetzt geht es zur Assoziationstherapie. Meine Kollegen Giorgio, Denver und ich müssen Babypuppen, Schlüssel und sonstigen Krimskrams den Kategorien männlich und weiblich zuordnen. Die Schwestern schreiben dabei jeden Satz mit, den wir von uns geben. Ich beginne langsam Spaß daran zu haben, nicht ich selbst zu sein und jede Menge Blödsinn zu reden, der mir in den nächsten Stunden ständig wieder begegnen wird. Dass ich vor Jahren einmal einen Impro-Theaterkurs belegt habe, erhöht meinen Lustgewinn beträchtlich.

Tanz den Waikiki-Boogie

Da die Schwestern offensichtlich noch nicht ganz sicher sind, was sie zu tun haben, nütze ich die Gelegenheit, mich umzusehen. Oberschwester Karmin hat mich jedoch bald eingeholt und ermahnt mich mit einem Anflug von Resolutheit. Das kann mich natürlich wenig beeindrucken, bin ich doch vom Pflegepersonal im Altersheim meiner Oma ganz andere Grade der Hantigkeit gewöhnt. Die Oberschwester im Komplex Nord ist wie das restliche Ärzte- und Schwesternteam weit unter vierzig. Entweder stirbt das Personal hier jung oder es waren einfach keine älteren Schauspieler aufzutreiben. Doch jetzt geht es zur Einzeltherapie mit Dr. Chaikin. Wir trinken Wodka, um mich locker zu machen, und ich beginne zum Waikiki-Boogie zu tanzen. Dr. Chaikin hat leider Kreuzschmerzen und sieht nur zu. Das macht mich echt wütend. Ich habe ein Aggressionsproblem! Ich kippe immer mehr in meine Rolle als verhindertes Alphamännchen und vergesse, dass ich in einer psychologischen Kleingruppenübung bin.

Schlussendlich sind es sieben interessante Stunden für mich. Doch die Amnesiestation Komplex Nord ist wie ein Motor, der ständig Benzin braucht. Für Leute, deren Tanks gerade leer sind oder die sich unterhalten lassen wollen, ist sie denkbar ungeeignet. Wer über teilweise unglaubwürdiges Schauspiel hinwegsehen kann und bereit ist, sich auf ein wechselseitiges Spiel einzulassen, der wird eine Menge Spaß haben und möglicherweise auch neue Seiten an sich selber kennenlernen.


Gregor Schenker






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