created with wukonig.com
APA - 10.06.2008
Haas-Uraufführung in Paris ausgiebig gefeiert


Das Sinnbild für die Ohnmacht des Künstlers hängt drohend über der Bühne: Eine so überdimensionale wie leere weiße Leinwand bestimmte am Montagabend das Bühnenbild der Uraufführung von Georg Friedrich Haas' Oper "Melancholia" im Pariser Palais Garnier. "Hertervig kann nicht malen", knurrt zu Beginn das Vokalensemble Nova über jenen Künstler, der im Mittelpunkt der eineinhalbstündigen Oper steht. Haas' mitreißendes Werk hingegen, das Klangforum Wien unter Dirigent Emilio Pomarico und die so düstere wie stimmige Inszenierung von Stanislas Nordey hatten keine künstlerische Blockade, ganz im Gegenteil: Die Oper des Österreichers wurde vom Publikum ausgiebig gefeiert.

Reales Vorbild
Als einen der "absoluten Träume, die man als Komponist haben kann", hat Haas im Vorfeld die Uraufführung an Gerard Mortiers Pariser Oper bezeichnet. Dieser Komponisten-Traum hat sich in minutenlanger, so gut wie uneingeschränkter Zustimmung des Publikums erfüllt. Dabei steht eigentlich im Libretto von Jon Fosse (basierend auf einem gleichnamigen Roman) ein Leben im Mittelpunkt, das durchaus als Alptraum bezeichnet werden kann: Der norwegische Maler Lars Hertervig (präsent, ausdrucksstark und von großer Stimmkraft: Otto Katzameier in der Hauptrolle), der 1830 in Stavanger geboren wurde und als außenseiterisches Genie 1902 im Elend starb, verliert alles. Seine Liebe, Helene (herausragend als mitleidlos Liebende: Melanie Walz), die Illusion seines Künstlerdaseins. Und vor allem sich selbst.

Erschütternde Partitur
Haas hat eine hoch emotionale und erschütternde Partitur verfasst. Hertervig findet keinen Halt mehr in der Welt - und die Musik von Haas zieht auch den Zuhörern den Boden unter den Füßen weg: In einem wogenden, schwappenden Klangfluss, der sich oft minutenlang kaum fortbewegt, schwankt alles, schliert wie heftige Pinselstriche aus dem Graben, eilt im Leerlauf in hoher Drehzahl dahin. Teils rasend schnelle Tempi schlägt der Dirigent an, die von den Sängern auch mitgegangen werden - im Graben jedoch steht ein Ton, vielleicht ein zweiter, aus dem sich ein Zwischenton-Ungleichgewicht herausschält. Das Klangforum Wien, herausragend, lässt bei den Haas'schen Finessen nicht locker, taucht und wühlt in den einzelnen Tönen, in den kratzend angespielten Saiten.

Melancholisches Klanggewebe
Die Musik braucht nicht viele Noten, um deutlich zu sprechen: Leben, Leidenschaft, das ist Täuschung - und vor allem auch die Liebe. Bei dessen erster Nennung wird es in der Musik todesdunkel. Dann wieder klappert es fast grotesk-fröhlich dahin: Wenn Hertervig zu Beginn minutenlang sich selber beschwört, dass er als Einziger wirklich malen kann, geht es fast ins Kinderliedhafte. Wenn sich der Maler dem Irrsinn ergibt und sich die zweite Szene lang im Malkasten seinen Stimmen aussetzt (die ihm auf sehr verrückte Art zuprosten), kommt hin und wieder Klang-Humor durch, der das Gegenteil von Fröhlichkeit auslöst. Haas lässt den Sängern viel Raum (den das Ensemble durchgängig gut nützt) und das Publikum keine Sekunde los: In dem dichten, unentrinnbaren Klanggewebe fehlt jeder feste Anhaltspunkt, an dem man seine Welt festmachen könnte. Da kann durchaus "Melancholia" aufkommen.

Dass es in der mentalen Zwischenwelt kein Entkommen gibt, hat Nordey als zwar statisches, aber keineswegs langweiliges Stehspiel auf die zumeist fahldunkle Bühne gebracht. Katzamaier singt, wie von unbeherrschbaren Emotionen besetzt, ferngesteuert seine Exkurse ins Publikum, abgewendet von der düsteren Handlung in seinem Rücken. Dort verschwört sich Äußeres und Inneres gegen ihn, und die überdimensionale Leinwand knallt kraftlos auf den Boden.

Wenn die Mal-Blockade doch nur Hertervigs einziges Problem wäre. "Ich habe doch nichts Böses getan", wiederholt Hertervig verzweifelt am Schluss - seiner Wohnung verwiesen, vom Wahnsinn gequält, dem Verbot ausgesetzt, seiner großen Liebe, der blutjungen Helene, nahe zu kommen. Denn die hat ihr Onkel, der undurchdringlich böse Herr Winckelmann (Johannes Schmidt), lieber für sich. "Wie recht du hast", sagt dazu seine Frau (Ruth Weber). Und auch Helene scheint sich eher zu freuen, dass sie den Maler-Spinner los ist. Psychisch und finanziell am Abgrund, musste Hertervig nichts Böses zu tun - sein Zerfall bricht von außen und von innen über ihn herein.

Die androgyne Counter-Stimme von Alfred (Daniel Gloger) fordert so eindringlich wie umsonst, dass Lars doch Helene herbringe - Hertervig hat keinen Zugriff mehr auf die Realität. Am Schluss wird der kahle Bühnenraum des prunkvollen Palais Garnier von den Kulissen befreit - die Welt ist verloren gegangen.

Im Herbst in Österreich
Am 24. Oktober wird die Produktion nach Gastspielen in der europäischen Kulturhauptstadt Stavanger und in Oslo im Rahmen des "steirischen herbst" im Grazer Opernhaus erstmals in Österreich zu sehen sein.









Bitte installieren Sie den Flash Player 9.
Sie können Ihn kostenlos unter folgender Adresse herunterladen: http://www.adobe.com/go/getflashplayer/