Falter - 22.10.2008
Zwischen Empathie und Partizipation
Meg Stuarts wundersames Mitmachtheater
Nach dem dritten herbst-Jahr unter Veronica Kaup-Hasler dürfte es dann
doch allen klar sein: Hier wird nicht geprotzt. Oft verstecken sich die
Glanzlichter des Festivals im Detail. Eine Ausnahme von dieser Regel
versprach im diesjährigen Programm Meg Stuart. Die aus den USA
stammende Starchoreografin entwarf eigens für den steirischen herbst
ein neues Stück: "All Together Now", eine Arbeit für die große
Helmut-List-Halle, die mit ihrem affirmativen Titel zugleich eine neue Tonalität im Werk von Stuart versprach.
Doch selbst dieses programmierte Highlight blieb ein
kammermusikalisches. Siebzig Menschen pro Performance wurden
zugelassen, genau so viele braucht es, um in der Halle gemeinsam mit
dem Ensemble einen großen
Wir-halten-jetzt-unsere-Hände-und-atmen-tief-durch-Kreis zu formen. Und
genau so viele Menschen fasst jener kleine als altmodisches
Alpenhotelzimmer gestylte Raum, in dem Meg Stuart die Zuseher zu Beginn
der Vorstellung mit den Themen des Abends vertraut macht: der Körper,
die Intimität, die Gemeinsamkeit, die Nähe des anderen. Eng
aneinandergepresst werden wir hier nicht nur zu Voyeuren wider Willen,
erleben eine Liebesszene, von der nur über Lautsprecher erzählt wird,
die aber in der Hitze, der gestauten Luft, der Nähe anderer Menschen,
ihrer Körper, ihres Geruchs geradezu greifbar wird. Dann stolpern wir
in eine große, stockdunkle und kühle Halle. Die Verlassenheit oder
zumindest die Angst davor, die sich in diesem Augenblick aufdrängt, ist
die Ausgangssituation für die semipädagogischen Gruppendynamikübungen,
die nun folgen - als "Strategie gegen das Unglück" sozusagen.
Was Meg Stuarts Ensemble Damaged Goods dazwischen an Tanzszenen zeigt,
ist in erster Linie eine Interpretation dessen, was an diesem Abend von
jedem selbst erlebt werden soll: Versuche, eine gemeinsame Richtung zu
finden, sich auf neue und alte Rituale einzulassen, loszulassen, sich
zu zeigen. Und anderen dabei zuzusehen. Zum Beispiel beim Kuchenessen.
"All Together Now" bleibt auf diesem Pfad zu einer neuen Gemeinsamkeit
formal eher unspektakulär. Und: So neu ist sie auch wieder nicht, die
unter Stuarts Regie durch Tanzen, Händehalten und Geschichtenerzählen
entstehende Gemeinschaft. Auch wenn in der
Helmut-List-Halle ein zartes Wir-Gefühl ganz anders wachsen kann als im Gruppenraum irgendeines Seminarhotels.
Hermann Götz