created with wukonig.com
Profil - 29.09.2008
"Die Angst im Menschen ist ausbeutbar"
Interview: herbst-Intendantin Veronica Kaup-Hasler über den Reiz von Katastrophenszenarien, neue Theaterformen, das Ende der Avantgarde und Geldknappheit.

profil: Vor dem Festivalzentrum steht eine begehbare Skulptur, die aussieht wie eine explodierende Kugel: Herrscht Endzeitstimmung beim steirischen herbst?

Kaup-Hasler: Auf keinen Fall. Das Architektenduo raumlaborberlin nimmt mit dieser Installation das heurige Thema des Festivals auf: "Strategien zur Unglücksvermeidung". Die Skulptur ist angelehnt an die spektakuläre Explosion in Michelangelo Antonionis Film "Zabriskie Point", die wir quasi mit einem Bannspruch belegt haben. Es ist der Moment der gefrorenen Katastrophe, bevor einem die Splitter in die Augen fliegen. Eine in letzter Sekunde vermiedene Katastrophe.

profil: Sie rechnen dennoch mit dem Schlimmsten: Ihre Produktion "Ersatzherbstlager" geht davon aus, dass jede Produktion des herbstes schiefgehen beziehungsweise ausfallen kann.

Kaup-Hasler: Katastrophen treten natürlich immer dann ein, wenn man sie nicht brauchen kann. Wenn man also darüber nachdenkt, was man tun kann, um Unglück zu vermeiden, sucht man nach Absicherungen. "Ersatzherbstlager" ist ein Kunstprojekt, das für jede Produktion, für jedes Kunstereignis des steirischen herbstes, bei Ausfall einen Ersatz bereithält.

profil: Woher kommt die Angst vor der Katastrophe, die das ganze herbst-Programm durchzieht?

Kaup-Hasler: Es ist pragmatischer Optimismus, der uns antreibt. Und Beobachtungen, die wohl jeder macht: Die negativen Folgen der Globalisierung sind in vielen Lebensbereichen und vor allem weltweit spürbar. Man redet nicht mehr von künftigen Katastrophen wie einst vom sauren Regen. Die Auswirkungen der Erderwärmung umgeben uns bereits. Die Frage lautet: Wie verhalten wir uns, wenn wir nicht in die Passivität fallen möchten? Die großen Utopien von einst sind als Strategien zur Unglücksvermeidung nicht mehr brauchbar.

profil: Braucht der Mensch Katastrophenszenarien? Von der Killer-Grippe bis zur "Überfremdung" scheint keine Angstfantasie zu abwegig.

Kaup-Hasler: Die Angst im Menschen ist immer ausbeutbar, ja verwertbar. Man denke nur an aktuelle TV-Serien wie "24", "Buffy" oder "Heroes". Aber die ganze Menschheitsgeschichte wird begleitet von apokalyptischen Visionen. Der steirische herbst reflektiert derartige gesellschaftliche Prozesse und versucht, sie einen Moment lang zu bündeln.

profil: Angesichts des herbst-Programms weiß man oft nicht so recht: Welche Produktion gehört zum Theater, welche zur Musik, welche zum Tanz?

Kaup-Hasler: Die Grenzen werden von vielen Künstlern nicht mehr streng gezogen, und der steirische herbst reagiert auf aktuelles Kunstgeschehen. Künstler arbeiten interdisziplinär, um verschiedene Blickwinkel einnehmen zu können. Die Gewissheit, unsere Wirklichkeit als geschlossene Erzählung zeigen zu können, löst sich radikal auf. Ja, man kann das auch bedauern. Manchmal wäre es schön, erleben zu dürfen, dass das noch jemand schafft.

profil: Sind die Künste in ihrer Entwicklung an einem Ende angekommen, sodass ihnen nur noch das Crossover bleibt?

Kaup-Hasler: Das mag für ein Theater gelten, das der klassischen Lessing'schen Dramaturgie folgt, also nicht älter als 300 Jahre ist. Je weiter man aber in die Geschichte zurückgeht, bis Shakespeare oder noch weiter in die Antike, umso deutlicher sieht man, dass der gleichberechtigte Einsatz verschiedener Mittel genuin zum Theater gehört. Unsere Stadttheater sind eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. In Belgien oder Holland, wo die Stadttheater-Strukturen in den siebziger Jahren radikal zerschlagen wurden, haben sich längst ganz andere Theaterformen entwickelt. Künstler wie Jan Lauwers, Jan Fabre, Alain Platel oder Meg Stuart haben neue Formen und Arbeitsweisen entwickelt - und bringen immer wieder großartige Arbeiten hervor.

profil: Lange galt der steirische herbst als Avantgarde-Festival. Welche Rolle spielt der Begriff "Avantgarde" noch?

Kaup-Hasler: Ich verwende den Begriff nicht, weil er rein historisch ist. Wenn man von Avantgarde spricht, meint man etwa den Konstruktivismus oder den Futurismus. Mein Anspruch ist, für den herbst jene künstlerischen Positionen zu finden, die im Moment relevant sind.

profil: Hat Graz als Kulturstandort an Bedeutung verloren?

Kaup-Hasler: Ja. Inzwischen fehlen prägende und sich durch Extreme auszeichnende Figuren wie Wolfgang Bauer, Jörg Schlick oder Werner Schwab. Dafür gibt es aber neben einigen großen Institutionen auch eine Reihe von hervorragenden Institutionen von mittlerer Größe wie etwa die Camera Austria, den Kunstverein, den Medienturm - oder Gruppen wie Theater im Bahnhof, die eine überregionale Strahlkraft besitzen.

profil: Große Opernproduktionen finden sich kaum noch im Festivalprogramm. Ist Ihnen die Gattung zu konservativ?

Kaup-Hasler: Nein. Hätte ich genug Geld, würde ich gerne größere Musiktheaterproduktionen machen. Heuer haben wir "Melancholia" von Georg Friedrich Haas als Erstaufführung im deutschsprachigen Raum nach Graz eingeladen. Eine derartige Produktion kostet Intendant Gérard Mortier an der Pariser Oper über zwei Millionen Euro. Das entspricht dem künstlerischen Etat, den wir pro Jahr für das gesamte Festival haben. Wir können diesbezüglich also in keiner Weise mithalten, wären auch gar nicht bereit dazu. Die Relationen würden nicht mehr stimmen.

profil: Ihr Budget ist gesunken. Gräbt die Politik dem Festival das Wasser ab?

Kaup-Hasler: Nach der großen Finanzkrise 2004 musste ich lange um eine Neugründung des Festivals kämpfen. Aber nur so konnten wir aus der Schuldenfalle kommen. Wir haben das Festival neu konzipiert. Steigende Preise und Personalkosten stehen auch bei uns gleich bleibenden beziehungsweise sinkenden Subventionen gegenüber. Der Bund unterstützt uns seit 2007 mit 670.000 Euro, die Stadt war einst zwar schon mit 900.000 Euro involviert, zurzeit ist sie mit 660.000 Euro dabei. Das Land gibt konstant 1,5 Millionen, hat uns heuer aber eine Sonderfinanzierung von über 450.000 Euro gewährt.

profil: Graz war 2003 EU-Kulturhauptstadt, nun kommt Linz an die Reihe. Welche Fehler sollte Linz 2009 vermeiden?

Kaup-Hasler: Nachdem das Kulturhauptstadtjahr in Graz vorbei war, schlug die Euphorie um in Melancholie. Es war fast so etwas wie Kulturfeindlichkeit spürbar. Um diesen Blues zu vermeiden, sollte Linz Geld für Projekte reservieren, die in die Zukunft reichen und auch in den Folgejahren noch für Dynamik sorgen.

profil: Hat Graz den Blues überwunden?

Kaup-Hasler: Ich denke schon. Als ich hier zu arbeiten angefangen habe, war die Enttäuschung groß. Heute glauben die Menschen wieder, dass der herbst es verdient, unterstützt zu werden. Meine persönliche Strategie zur Unglücksvermeidung lautet: "Don't cry, work."
Peter Schneeberger






Bitte installieren Sie den Flash Player 9.
Sie können Ihn kostenlos unter folgender Adresse herunterladen: http://www.adobe.com/go/getflashplayer/