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Der Standard - 11.06.2008
Klangdokumente der Seelenpein
Die Uraufführung von Georg Friedrich Haas’ Oper "Melancholia" nach dem Roman von Jon Fosse im Palais Garnier in Paris wurde mit sehr freundlichem Applaus aufgenommen. Das Künstlerdrama wird im Rahmen des steirischen herbstes auch in Graz zu hören sein.

Kommt man direkt von den noch frischen Wiener Festwochen nach Paris, wähnt man sich fast an ihrem schönsten konzeptuellen Außenposten. Im Orchestergraben des Palais Garnier ackert das formidable Klangforum Wien, und es hebt ein Melancholia geheißenes Künstlerdrama des Grazer Komponisten Georg Friedrich Haas aus der Taufe, dessen Thema ("ausgegrenzter Künstler") wunderbar zum diesjährigen Moderne-Opernschwerpunkt der Festwochen passen würde. Besonders zu Rihms Jakob Lenz.

Ob der Zeitpunkt der Pariser Uraufführung zufällig mit den Festwochen zusammenprallt oder doch ein ironisch getimter Gruß von Opernintendant Gerard Mortier an diverse Wiener Kollegen ist – schwer zu sagen. Immerhin: Man muss nicht ehebaldigst nach Paris pilgern – die Produktion wird zum steirischen herbst kommen, in die Grazer Oper.

Die Neuheit passt natürlich auch nach Paris. Das Libretto, das der norwegische Dramatiker Jon Fosse aus seinem Melancholia-Roman (1996) über den norwegischen Landschaftsmaler Lars Hertevig (1830–1902) destilliert hat, weist in der Grundausrichtung eine Verwandtschaft mit Offenbachs Hoffmann auf. Auch hier ein Künstler, auch hier Begehren, Entrückung, Kreativblockade. Und sogar eine Wirtshausszene ist dabei. Natürlich: Wiewohl Haas bezüglich Stimmenbehandlung aus den Figuren auch den Duktus der klassischen Moderne erschallen lässt, ist das Ganze weit vom Harmlosen entfernt. Ein filigraner, den Demütigungen der Außenwelt hilflos ausgelieferter Künstler verliebt sich in Düsseldorf und geht langsam am starren Unverstand kaputt, tauscht schließlich Realität gegen halluzinatorisch befeuerten Wirklichkeitseigenbau.

Der Druck der Norm

Das Werk dauert an die 90 Minuten, hat drei Teile und wirkt in der Regie von Stanislas Nordey als Dokumentation einer Isolation. In einem leeren, dunklen, vom Licht bisweilen zart erhellten Raum mit der hängenden weißen Leinwand herrschen Distanz und verhöhnender Normendruck, der vor allem im Chor sein Epizentrum hat. Dieser repräsentiert eine Mauer der Ablehnung, an der Maler Lars (tadellos Otto Katzameier) mit seiner unschuldigen Zuneigung zu Helene (intensiv Melanie Walz) abprallt.

Es sind regelrecht puppenhafte Wesen, die hier agieren. Nur zu Beginn, wenn Lars zwischen Übermut und Selbstzweifel changiert, ist etwas Munterkeit zugegen. Sehr schnell jedoch wird aus Lars eine der Welt abhanden kommende tragische Skulptur – umgeben von Helenes starrsinnigen Erziehungsberechtigten, Herrn und Frau Winckelmann (Johannes Schmidt, Ruth Weber), von "Freunden" wie Alfred (Daniel Gloger), Bodom (Martyn Hill) und der Kellnerin (Annette Elster).

Haas legt die Abfolge der Teile markant an. Der erste, variantenreichste, baut aus der Stille heraus fast Rheingold-haft sanft eine wellige Fläche auf, in die der Chor gruselig die Zweifel des Malers vokalisiert.

Quälend legt sich der mikrotonale Orchesterbau um die Figur, verbindet sich mit ihrer Hysterie oder mit dem plötzlich tonal-liedhaft agierenden Chor, einem kleinen Lichtpunkt in der Düsternis. Dominant geraten großzügige Glissandi, die in endlos aufwärts oder abwärts rollenden Akkordflächen den verzweifelten Seelenzustand einfangen. Ausdrucksmäßg ist das Orchester vielfach von den Stimmen abgespalten, es mutiert zu einem durch Repetition echoartig pochenden Gebilde. Dann wieder führt die Anbindung des Chores an das Orchester zu bissigen Staccati.

Eindeutiger der zweite Teil. Ihn beherrschen nervös aufsteigende figurative Linien, die sich sequenzartig – und vom vokalen Geschehen losgelöst – fortpflanzen, bis sie schließlich zu akkordischen Übergießungen übergehen, welche den kollektiven Verhöhnungen von Lars assistieren. In dem nervösen Flimmern kommt dem Klavier orgelpunktartige Funktion zu.

Den dritten Teil dominiert eine halluzinatorische Fläche, in die sich Déjà-vu-artig Ideen des ersten Teils mixen, bis der Chor schließlich ganz sanft den sich mit Koffern davonmachenden Lars gleichsam verabschiedet. Haas gelang in Summe eine das Geschehen aufladende, bohrende Musik der Reibungen – voll quasi psychedelischer Suggestivkraft. Die über Komplexität hergestellte Unmittelbarkeit setzt das Klangforum Wien unter Emilio Pomarico intensiv und exakt um. Sehr freundlicher Applaus. Nur ein Buh. Aber ein beharrliches.


Ljubiša Tošic






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