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Falter - 29.10.2008
Kugelfische im Muttermund
steirischer herbst, die vierte Woche: Ohne Wehmut geht das Festival zu Ende

Der Dienstag. Es war ja eher ein herbst der geschlossenen Räume und Anstalten. Nur das Kollektiv fritzpunkt ist regelmäßig aus dem Kunstknast ausgebrochen und hat sich - nördlich wie südlich - walkend in elf Tagen und Nächten den 3305-Seiten-Roman "Dessen Sprache du nicht verstehst" in frischer Luft erlesen. Bis nach Leibnitz sind die fritzpunkte derart gelangt! Sehr sportlich, auch wenn sie dafür die Bahn genommen haben. Die übrigen Projekte, die sich in die Welt wagten, haben es bescheidener gegeben. Hier und dort stieß man in der Stadt auf Aufkleber mit Andrea Ressis Piktogrammen, deren holzschnitthafter Anti-Rassismus ein mattes Lächeln auf die Lippen Eingeweihter zu zaubern vermochte. Und dann war da noch Joachim Hainzl, dieser unermüdliche Wanderprediger künstlerisch gewandeter Gesellschaftskritik. Letztes Jahr hat er Müll vors Rathaus gekippt, heuer Slogans wie "Religionsfreiheit ist mir heilig" - gezeichnet mit "Susanne Winter" und im FPÖ-Design - in der Stadt plakatiert. Das hat für Missverständnisse gesorgt, am Dienstag hat Hainzl sie an seinem Infostand am Südtirolerplatz wortreich auszuräumen versucht. Der Mann weiß, was sich gehört.

Der Donnerstag. Die "Welt retten", wie die drei am Abend uraufgeführten Auftragsstücke überschrieben waren, kann der herbst natürlich nicht. Auch wenn das postjournalistische Feuilleton gerne die Verbesserung zumindest von Mitteleuropa - wenn nicht gleich das Lostreten der Weltrevolution - mit den Mitteln des Theaters zu fordern geneigt ist. Reicht doch, wenn ein Festival über Theater nachdenkt und die Revolution den Journalisten überlässt. Auf die Barrikaden!

Der Freitag. "Nichts ist so unerquicklich wie das Auflisten von Zahlen", hat Intendantin Veronica Kaup-Hasler bei ihrer herbst-Bilanz gesagt, sich danach also total wissentlich ins Unglück gestürzt. 213 Einzelveranstaltungen, 94,6 Prozent Auslastung, 44.500 Besucher, mehr als 600 teilnehmende Künstler, 183 akkreditierte Journalisten hat sie aufgezählt. Auf einen Journalisten kamen 243 Besucher (2007: 235; 2006: 242). Das Wellental ist durchtaucht. Pro Zuschauer standen 0,0135 Künstler zur Verfügung (2007: 0,0157; 2006: 0,0109). Eine 1:1-Relation bleibt anzustreben.

Am Abend ragte "Melancholia" von Georg Friedrich Haas in der Grazer Oper wie ein dunkler Turm aus dem Festivalprogramm. Musiktheater ist seit Peter Oswalds Abgang im herbst ja keine Selbstverständlichkeit mehr. Wenn's nicht so teuer wäre - dergleichen wünschte man sich jedes Jahr. Im Festivalzentrum waren dann Fugu and the Cosmic Mumu die Band der Stunde. Vielleicht des Jahrzehnts.

Das Ende. Die schönen Rituale wie gehabt zum Schluss: Herr Manfred und die Intendantin schenkten am Samstag Drinks im vollen Festivalzentrum aus, im Club gab's eine Mini-Reunion der Lassie Singers. "Es ist so schade", haben die Damen gesungen. Tatsächlich: Banden bilden schlägt Bands auflösen immer noch um Längen. Am grauen Tag der Fahne der "last brunch", dazu die Filme aus dem ekw14,90-Ersatzherbstlager: Wie sich Christoph Rath da in "Demut statt Wehmut" an "Melancholia" herantastet, ist ein eigenes Festival wert. Ein Satz zum Merken: "Ich glaube nicht, dass ich aus Hochmut oder Eigensinn schweige."

Tagebuch: Thomas Wolkinger






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