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Deutschlandradio Kultur online - 09.06.2008
Psychogramm eines Künstlers als Oper
Uraufführung von Jon Fosses "Melancholia" in Paris

"Melancholia" ist der seltene Fall einer Literaturoper, bei der der Dichter selbst die Bearbeitung der Vorlage liefert. Die Idee, die beiden um 2000 international etablierten Künstler, den norwegischen Schriftsteller Jon Fosse und den österreichischen Komponisten Georg Friedrich Haas für ein gemeinsames Projekt zu gewinnen, ist bei den Salzburger Festspielen vor sieben Jahren entstanden. Die Uraufführung fand nun in Paris statt, wo der ehemalige Salzburger Festspielleiter Gerard Mortier nun Intendant ist.

Jon Fosses umfangreicher Roman "Melancholie" zeigt in drei unterschiedlichen Perspektiven drei Momentaufnahmen aus dem Leben des norwegischen Maler Lars Hertervig, eines völlig verarmt verstorbenen, lange in einem Osloer Irrenhaus weg gesperrten und erst nach seinem Tod als Wegbereiter der Moderne erkannten norwegischen Landschaftsmalers. Für die Oper hat Fosse den ersten in Düsseldorf spielenden Teil seines Romans überaus radikal gekürzt, vor allem formal völlig umgestaltet:

Was im Roman als langsam sich entwickelnder, oft retardierender innerer Monolog des nicht aus seinem Bett wollenden Malers erscheint, der von seiner Berufung als außergewöhnlicher Maler weiß, aber keinen Platz in der Gesellschaft findet, ist in der Oper archetypisches Psychogramm eines Ausgegrenzten und sich Ausgrenzenden. Seine inneren Stimmen und Gewissensbisse sind im Opernlibretto einem Chor übertragen.

Aber auch Hertervigs Gegenspieler - seine "realitätstüchtigen" Malerkollegen und die ihn aus seiner Wohnung wieder vertreibenden Zimmerherrn - sind, auch wenn sie in der Oper als reale Bühnefiguren auftreten, vor allem Zeichen für innere, psychische Bedrohungen.

Die extrem minimalistische Inszenierung von Stanislas Nordey hat diese schwarz gekleideten Figuren in ein vollkommen schwarzes Bühnenbild, über das hin und wieder ein paar Lichtreflexe huschen, gestellt; vor diesem Hintergrund heben sie sich nur als Schemen ab: Das schwarze Tier Melancholie. Es ist dies eine Ästhetik, die durchaus den suggestiven unheimlichen Wolkenbildern des Malers Hertevig nahe kommt, die einen ebenfalls bei längerem Betrachten schwindeln lassen.

Weiß und hell im Gegensatz dazu allein Hertevig und die fünfzehnjährige Helene, der seine Liebe gilt und die der Maler als sein Licht empfindet.

Auch die Musik - bei aller quälenden Melancholie sehr effektvoll - verstärkt das Dröhnen, das Poltern, das Surren der inneren Stimmen - bisweilen durch schrille Obertöne. Manche Haltungen und Meinungen von Lars - bisweilen im Parlando entwickelt - und die Einflüsterungen des Chores wirken bisweilen wie Gebet und Litanei. Effektvoll vor allem die Wirtshausszene, wo die Malerkollegen die Kellnerin als falsche Helene - gleichzeitig schwarz und weiß gekleidet - vorschieben. Immer wieder, aber vor allem hier scheint in diesem Psychogramm eines Stimmen hörenden Außenseiters als Vorbild Alban Bergs "Wozzeck" durchzuschimmern.

"Melancholia" ist große Oper und wohl bisher Haas' opus magnum, beim Klangforum Wien unter Emilio Pomarico und vor allem bei dem weichen Bass-Bariton von Otto Katzameier als Lars ist das Werk auch in allerbesten Spezialisten-Händen für Neue Musik.

Ob "Melancholia" (die Oper eines norwegischen Schriftstellers über einen norwegischen Maler) auch als die lang erwartete norwegische Oper gelten kann, bleibt aber offen. Derartige Erwartungen wurden freilich ein wenig geschürt, zumal Norwegen zwar seit April 2008 erstmals ein freistehendes Opernhaus hat, aber noch immer kein repräsentatives norwegisches Opernwerk vorzeigen kann, und Haas' Oper nach der Pariser Uraufführung bei Festivals in Stavanger, Bergen und Oslo gezeigt wird.

Aber der Österreicher Haas musste sich für seine Komposition eine deutsche Übersetzung anfertigen. Die Motorik der Denkbewegungen von Fosses Romanhelden gibt die Oper eindrucksvoll wieder, die Poesie des Nynorsk, des Neunorwegischen, in dem Fosse schreibt, wurde allerdings nicht zum Klingen gebracht. Und selbst beim Deutschen war in Paris Wortdeutlichkeit wenig gefragt.

Beitrag zum Hören: http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2008/06/09/drk_20080609_2319_15280a57.mp3

Bernhard Doppler






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