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Die Furche - 31.10.2008
Theater aus, Welt aus - Licht an


Der steirische herbst setzt beim Finale zur großen Geste an: Dreimal "Welt retten" in Form von Kurzstücken und die österreichische Erstaufführung der Oper "Melancholia" versöhnten zum Teil mit einem zeitgenössischen Erkundungsfestival, welches Wertigkeit auf relativ geringem Niveau bot.

   Niemand weiß genau, was zu tun ist. Dieses Eingeständnis von Seiten der Wirtschaftsexperten ist in diesen Tagen oft zu hören. Und warum? Weil Erwartungen längst ein Teil des kapitalistischen Spiels geworden sind. Der Druck, den Triebkräften der Märkte etwas entgegenzusetzen, hat etwas von einem magischen Zwang. Rettung wird erwartet, und Rettungspakete werden für die darniederliegende Finanzwelt geschnürt, die ökonomisch unsinnig sind und dennoch am Ende aufgehen könnten. Wiederum werden wir uns in neuen zornfreien Zonen einfinden, in denen man uns wissen lässt, wie wichtig Vertrauen und Glaube angesichts der Weltwirtschaftskrise sind.

   Da ist es dann natürlich auch opportun, wenn ein zeitgenössisches Festival wie der steirische herbst sich uns Zonenbewohner annimmt und zu revolutionären Einkehrübungen animiert. Vier Dramatiker beauftragte der herbst mit Kurzstücken, die den programmatischen Wunsch nach "Welt retten" zu fassen hatten. Wenig Risiko ging man dabei bei der Wahl der Autoren und Autorinnen ein. Angefragt wurden jene, die auf dem rauen Literaturmarkt derzeit als Gewinner gehandelt werden. Darüber kann auch die dramaturgische Nobelgeste nicht hinwegtäuschen, sich bei der Umsetzung der Textskizzen für Jungregisseure entschieden zu haben, die kaum bis gar nicht mit Autor und Manuskript in direktem Kontext stehen.

   Zwischen Hundekörbchen und Gassigehen

   So teilten sich letztes Wochenende zum Ausklang des Festivals drei der vier Dramatiker einen Abend und wurden eine/r nach dem anderen uraufgeführt. Im Dom im Berg erzählt Lukas Bärfuss, unterstützt vom jungen Filmemacher Noel Dernesch, in "Biffy & Wutz" die Geschichte zweier Hunde, denen Hundeschule und Kastration das Wölfische austrieb. Zwischen Hundekörbchen und Gassigehen wird Widerstand und Anpassung auf samtenen Hundepfoten abgehandelt. Eine Schauspielerin (Monika Klengl) und ein Schauspieler (Rupert Lehofer) leihen dem Hundedrama ihre Stimmen und steigen artig von einem Sprachnäpfchen ins andere, während sich auf dem Video im Hintergrund eine hündische Aufbegehrungstat ereignet: Hundekot auf politisch unabhängigem "Wirtschaftsblatt". Zunehmend überkommt uns beruhigte Zonenbewohner der Verdacht, dass hier einer dem herbst ans Bein pinkeln wollte. Wenn nach knapp 40 Minuten Susi- und-Strolchi-Soap dieser Ort zügig Richtung Joanneum zu verlassen ist, kann man getrost Grazer Nachtluft einatmen und seinen Hoffnungen freien Lauf lassen: Es gibt noch zwei weitere (post)dramatische Weltrettungsversuche zu sehen.

   Der Grazer Johannes Schrettle, dessen Arbeiten in München ebenso wie in Berlin oder Wien zu sehen waren, entrollt einen seiner gewohnt zwingenden Sprachteppiche, auf dem tastend Beziehungs- und Lebensversuche unternommen werden. Schrettle beschreibt eine Zeitstimmung zwischen unkonkreter Politisierung, Selbstfindungsstrategien und existentieller Verunsicherung. "kollege von niemand" wird dabei zügig von vier temperamentvollen, spanisch sprechenden Schauspielern aus Argentinien unter der Regie von Mariano Pensotti umgesetzt. Als Bühne dient ein einfacher Holzverschlag, der Kneipenflair mit Hinterzimmeratmosphäre für Freunde großer Weltverbesserungsideen verbindet. Hier werden privates Leben und politische Ansichten ausgetauscht. Hier wird versucht nachzuempfinden, was jene Schauspieler gefühlt haben mögen, die 1967 in Jean-Luc Godards "La Chinoise" ihre politischen Positionen in einem Pariser Appartement diskutierten und als Schauspieler glaubten, mit ihrer Kunst die Welt verändern zu können. Dabei laufen diese Szenen aus dem Filmklassiker stumm im Hintergrund, während die Schauspieler immer wieder diese nachzustellen versuchen. Immer wieder starten sie den Versuch, ihre revolutionären Begierden zu erneuern. Doch so einfach ist das nicht, weder mit dem Theater, noch mit dem Gefühl, das eine Generation vor 40 Jahren antrieb. Das lässt sich nicht wirklich heraufbeschwören.

   Große Gefühle und kleine Wehwehchen

   Am Schluss lässt Schrettle seine Figuren nach einem Ende für das Stück suchen. Da bleibt dann nur mehr die Liebe als Spielwiese, auf der sich große utopische Gefühle und kleine existenzielle Wehwehchen tummeln. Und das einfache Verlangen danach, alles einmal so stehen zu lassen: Wie "eine Liebe, die nicht weiß, dass sie eigentlich aus Zeit besteht", denn es sei "immer besser, wenn die Bilder nicht wissen, in welchem Rahmen sie gerade hängen". Ein frommer Wunsch, der leider auch für diesen Abend stimmt, denn nach Schrettle wird das Publikum für eine weitere Stunde in einen beengten Raum gezwängt.

   Wir brauchen den langen Atem und eine echte Affinität zu Rosen, vor allem aber keine Berührungsängste vor den traumtänzelnden Worten der kroatischen Autorin Ivana Sajko. Der nach einem Satz Gertrude Steins benannte Theatertext "Rose is a rose is a rose is a rose", umgesetzt vom niederländisch-belgischen Schauspielerkollektiv Wunderbaum, kreist um einen brutalen Tanzmarathon, bei dem verzweifelte Amerikaner in den 30er Jahren Geld gewinnen wollten. Doch der Tanz auf dem hellbraunen Klebeparkett um Liebe, Offenbarungstraumata und andere zerstörerische Begebenheiten ist vor allem eines: Ausdruckstanz für Sendungsbewusste. Dann endlich: Theater aus, Welt aus.

   Dunkles Leuchten, schwarzes Licht scheint uns dann doch noch einmal an, gerade noch rechtzeitig, bevor auch der diesjährige steirische herbst im Grazer Hochnebel unscharf verschwimmt. Die österreichische Erstaufführung der Oper "Melancholia" von Georg Friedrich Haas setzt einen viel bejubelten und schwermütigen Schlussakkord. Der Kooperation mit der Grazer Oper ist zu verdanken, dass nach der Uraufführung an der Pariser Nationaloper im Juni das Werk hier gezeigt werden kann. Der 1953 in Graz geborene Komponist hat nie seine Schwäche für romantische Topoi verschwiegen. Das von ihm entwickelte tonale System erlaubt es ihm, seine Gefühle und Gedanken auf beinahe exhibitionistische Weise in Klänge zu verwandeln. Seine bevorzugte Technik ist die Mikrotonalität, sein filigranes Material gewinnt er aus den Obertonspektren der Töne. Dabei entstehen irreal wirkende Zwischenwelten, die sich dem Hörer vor allem in expressivem Erleben vermitteln. Für "Melancholia" griff Haas auf den Roman des norwegischen Dramatikers Jon Fosse zurück. Fosse, der durch seine immer wieder in Pausen versickernden Stücke bekannt geworden ist, dessen redundanter, karg repetitiver Sprachstil an das musikalische Kreisen um einen Grundton erinnert, hat das Libretto zur Oper selbst verfasst. "Melancholia" erzählt 90 Minuten lang die tragische Geschichte des hochbegabten jungen Malers Lars Hertervig, den seine quälenden Selbstzweifel, der Spott der Weggefährten und eine unglückliche Liebe zur 15-jährigen Helene (Melanie Walz) in den schizophrenen Wahn treiben.

   Das fantastische Klangforum unter der Leitung von Emilio Pomarico begleitet den souveränen Otto Katzameier als weißgekleideten Lars durch seine zunehmend auseinanderfallende Realität. Ein großflächiges weißes Tuch, ausgespannt im schwarz getränkten großartigen Bühnenraum von Emmanuel Clolus, saugt gleichsam das Innenleben dieses verwirrt-verrückten Kopfes auf. Immer wieder der Blick zum Boden, aus Nicht-mehr-weiter-Wissen. Dann der Blick nach oben in die Helligkeit, ins Offene, in Helenes große Augen.

Barbara Rauchenberger






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