created with wukonig.com
Wiener Zeitung - 28.10.2008
Dunkle Seelengespinste
Georg Friedrich Haas' Oper "Melancholia" beim "steirischen herbst"

"Maler, die nicht malen können!" - Der Kunststudent Lars Hertervig, eben aus Norwegen an die Akademie nach Düsseldorf gekommen, kann sich gar nicht einkriegen über die Inferiorität seiner Kommilitonen. Er steigert sich hinein in eine Art hämische Bravourarie. Doch die anderen, dieser gefährlich-gesichtslose schwarze Chor im Halbdunkel, schlägt unerbittlich zurück. "Er kann nicht malen, der Spinner", tönt es da wie ein feierlicher Choral dem sich selbst notorisch überschätzenden Jung-Künstler entgegen.

   Georg Friedrich Haas' am letzten Wochenende des "steirischen herbst" in Graz aufgeführte Oper "Melancholia" ist voll von solchen griffigen, genuin-musiktheatralischen Szenen. Da erweist dieses Werk, das heuer im Frühsommer an der Opéra national de Paris uraufgeführt worden ist, seine gestische Kraft - obwohl szenisch ja vermeintlich ganz wenig los ist: Da fehlt es einem jungen Mann an Selbsteinschätzung in jeder Hinsicht.

   Tumbe Gesellschaft

   Mit dem Mal-Genie ist es vermutlich ebenso wenig weit her wie mit der Liebe zu Helene, der 15-jährigen Tochter seines Quartiergebers. Die singt zwar auch gerne von Liebe und lässt sich die Avancen des Studenten wohl gefallen. Aber dann, wenn es ernst wird, wenn sich der Vater querstellt, sagt sie bloß lapidar: "Ich habe an dich gedacht, aber gerufen habe ich dich nicht." Und flugs wird dem anziehenden, weiß gewandeten Wesen von den Eltern ein schwarzer Mantel übergezogen. So ist sie ab sofort Teil jener schwarz-tumben Gesellschaft, in der ein farbenfrohes Genie wie Lars (sein heller Anzug lässt sofort an van Gogh denken) offenbar keinen Platz hat.

   Eine Tragödie für ihn? Für sie? Für beide? Für die Kunst? Jon Fosse, der für "Melancholia" seinen eigenen Roman über den Landschaftsmaler Lars Hertervig (1830-1902) zum stenografisch-knappen Opernlibretto umgearbeitet hat, lässt einen weiten Deutungsspielraum. Wenig Worte, wenig Sätze - aber ein weites Seelenland!

   Dafür ist Haas' Tonsprache ein kongeniales Vehikel. Wenige Motive, strenge, genau abgezirkelte Formen: aber eben eine Klangwelt von innerer Weite. Aus Mikrotönen baut Haas Seelen-Dioramen von ansehnlicher Tiefe. Was da nicht alles an irisierenden Klängen wächst, sich verdichtet, in den Klangfarben mutiert.

   Die kleinen Tonschritte eröffnen Haas die Möglichkeit, Farben wie auf einer Palette anzumischen, ineinander fließen zu lassen, zu überlagern. Aber Haas ist bei weitem nicht nur Kolorist, mindestens ebenso ergiebig sind die feinen rhythmischen Überlagerungen, Verschiebungen.

   Otto Katzameier singt den Lars mit der ihm eigenen Genauigkeit in der Artikulation, diszipliniert und genau in der Intonation. Melanie Walz (Helene), Johannes Schmidt (Vater Winckelmann), der Countertenor Daniel Gloger und der Tenor Martyn Hill als die buffonesken und doch so gefährlichen studentischen Gegenspieler - ein hochkarätiges Ensemble war der Geburtshelfer für diese österreichische Erstaufführung. Das Vokalensemble Nova sowie das Klangforum Wien unter Emilio Pomarico: beste Anwälte für Haas' Partitur-Filigran.

   Eindringliche Kargheit zeichnete die Szene aus (Stanislas Nordey, Regie; Emmanuel Clolus, Bühne): eine Blackbox, eine riesige Stofffläche - eine helle Projektionsfläche für dunkle Seelengespinste.

Reinhard Kriechbaum






Bitte installieren Sie den Flash Player 9.
Sie können Ihn kostenlos unter folgender Adresse herunterladen: http://www.adobe.com/go/getflashplayer/