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Die Presse - 27.10.2008
"Niemand kann malen, nur ich"
Steirischer herbst. Georg Friedrich Haas' Oper "Melancholia" nach Jon Fosse erstmals in Österreich: Jubel für ein freilich schwermütig stimmendes Werk.

   Ein armer Teufel, dieser Lars Hertervig aus Hattavag: Dass er "doch nichts Böses getan" hat, hilft ihm gar nichts. 1852 mit dem zu Recht flammenden Selbst- und Sendungsbewusstsein eines begnadeten 22-jährigen Malers aus Norwegen nach Düsseldorf gekommen, um dort an der Kunstakademie zu studieren und die Masse talentloser Kleckser in ihre Schranken zu weisen, stolpert der unerfahrene Sohn eines Quäkers über die unglückliche Liebe zu Helene Winckelmann, die erst 15 Jahre alte Nichte seines Vermieters.

   Die Anzeichen von Helenes scheuer Zuneigung reichert der empfindsam-träumerische Lars prompt mit imaginierten Beifügungen an - Symptome einer beginnenden psychischen Erkrankung, die 1902 (jenseits der Opernhandlung und auch jenseits der Romanvorlage) zu einem Tod in Armut und geistiger Verwirrung führt. In Düsseldorf fährt jedoch erst einmal Helenes Onkel dazwischen und verbietet dem norwegischen Nichtsnutz den Umgang mit ihr. Vor die Tür gesetzt, will Lars später zu Helene zurückkehren und die Zeit bis dahin im Künstlerbeisl "Malkasten" verbringen. Dort trinkt er und wird prompt zum Gespött der Kommilitonen. Das heimliche Treffen mit der Geliebten schließlich gerät zum Fiasko, weil die Realität mit Lars' Wünschen nicht Schritt halten kann: Helene bleibt als folgsame Nichte kühl, die beiden werden überrascht und Lars muss unter Schimpf und Schande verschwinden.

   Auftragswerk fürs, nun ja, breite Publikum

   Vom historischen Sujet und dessen Umsetzung her scheint es, als habe Georg Friedrich Haas nach Bühnenwerken experimentelleren Zuschnitts in diesem Auftragswerk für die Opera National de Paris eine Oper fürs, nun ja, breite Publikum schaffen wollen: Mit einem klar gefassten, fast holzschnittartig präsentierten tragischen Schicksal, linear erzählt und ohne verkomplizierende Nebenhandlung, schreibt das Werk den aus der Romantik stammenden, mittlerweile getrost als populär, ja konservativ einzustufenden Mythos vom einsamen, an der ihn peinigenden Gesellschaft irre werdenden Künstler fort.

   In genau diese Kerbe schlägt schon der norwegische Romancier und Dramatiker Jon Fosse mit seinem selbst verfassten Libretto, in dem er den ersten Teil von 450 Seiten Romanvorlage auf ein schmales Bändchen komprimiert hat: 90 Minuten währt Haas' sensible musikalische Ausleuchtung der äußeren Zwänge und inneren Abgründe, deren Diskrepanzen dem jungen Hertervig zum Verhängnis werden - genug für einen Abend, aber nicht zu viel auch für mittlere Bühnen und deren Publikum. Nach der erfolgreichen Pariser Uraufführung letzten Juni geht die Produktion nach Stavanger, Oslo und Bergen und machte nun für zwei Aufführungen im Rahmen des Steirischen Herbsts an der Grazer Oper Station.

   Es ist freilich nicht nur der narrative Anspruch, der das Stück durchaus mehrheitsfähig wirken lässt, auch musikalisch legte Haas auf Fasslichkeit Wert, etwa durch gute Textverständlichkeit, bleibt sich jedoch selbst treu durch den in gewohnter Manier oszillierenden Widerspruch zwischen temperiert und rein intonierten Sounds: Das Spektrum zwischen der domestizierten und damit gleichzeitig die Realität verbiegenden Stimmung in zwölf gleichen Halbtönen und den wundersamen Effekten auskomponierter, ganz der Natur folgender Obertonakkorde ermöglicht harte, kalte, bewegende, verstörende und beklemmende Musik.

   Das Klangforum Wien beherrscht Haas' schillernde Welten gleichsam im Schlaf und kommt unter Emilio Pomarico jener Dringlichkeit nahe, die auf der Bühne etwas abgeht. Denn wenn die Aufführung nicht optimal gerät, liegt das zumindest auch an der Inszenierung von Stanislas Nordey, dessen schematischer Personenführung auf der passend kargen Bühne von Emmanuel Clolus immer wieder Spannung fehlt. Die Sänger geben ihr Bestes, vor allem der hervorragende Otto Katzameier, der das immer wieder hochpathetisch aufgeplusterte Parlando des Lars imponierend meistert und trotz Erkältung die wohlklingendste Stimme des Abends hören lässt.

   Wiederholungen sorgen für Ermüdung

   Ihm stehen fähige Partner zu Seite: etwa die höhensichere Melanie Walz (Helene) und Johannes Schmidt als profunder Winckelmann, während im "Malkasten"-Beisl Martyn Hill (Bodom), Annette Elster als dralle Kellnerin und vor allem der Countertenor Daniel Gloger als grell-scharfer Alfred ihr Unwesen treiben. Das exzellente Vokalensemble NOVA mimt die allgegenwärtige, feindselig-anonyme Gesellschaft in grauem Gewande: Einmal erklingt da gar mit desavouierender Ironie ein Stilzitat "klassisch"-tonalen Satzes, ansonsten wendet sich die kollektive Biederkeit meist in bedrohlich tönende, fast unentwegt gleitend ansteigende Chorstellen.

   Letzteres erweist sich freilich als eine insgesamt etwas ermüdende kompositorische Manier, wie überhaupt manch repetitiver Aspekt der Partitur einen Hauch von ausharrender Schwermut auch über Teile des Publikums legte: Was bei Thomas Bernhard so ungemein musikalisch wirken kann, will seltsamerweise auf der Opernbühne mit der wiederholten Gegenüberstellung von "Hertervig der kann nicht malen" und "Ich kann malen/Niemand kann malen/nur ich" etc. nicht recht funktionieren.

   Melancholisch kann jedoch auch werden, wer bedauert, dass das Werk bislang nicht auf eine Wiener Bühne gefunden hat - und zwar keineswegs deshalb, weil die trägen Wiener stets alles frei Haus geliefert bekommen sollten. Sondern weil in der Hauptstadt des "Musiklandes" Österreich die zeitgenössische Oper immer noch keine selbstverständliche Heimstatt gefunden hat, dafür aber schon wieder diskutiert wird, das Radio-Symphonieorchester aus dem ORF "auszugliedern" und damit vor die Hunde gehen zu lassen - jenes große Orchester, das als einziges in Wien Können und Erfahrung in erheblichem Maße auch der Neuen Musik widmet.

   Ein armer Teufel, wer da hofft?

Walter Weidringer






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