Revolutionäre Selbstfindung für Schauspieler
Johannes Schrettles Stück „kollege von niemand" trat zunächst eine
vielversprechend lange Reise an. Die Hommage des jungen Grazers an
Jean-Luc Godard und seinem Film „La Chinoise“ von 1967 über fünf junge
Revolutionäre, die sich in einer bürgerlichen Pariser Wohnung in den
Thesen Maos ergehen, um eine sozialistische Lebenspraxis zu finden,
wurde dem argentinischen Regisseur Mariano Pensotti übereignet, der sie
mit vier Schauspielern auf Spanisch umgesetzt hat.
Drei Welten wurden also miteinander konfrontiert: Das Paris kurz vor
der Studentenrevolution, die Lebenswelt der jungen argentinischen
Künstler und dazwischen Johannes Schrettles Umgang mit Godards Film.
Ein komplexes Setting, sollte man meinen, und auch ein Text, der vor
assoziativen Ideen nur so strotzt.
Pensotti sperrt diese Welt in ein enges Zimmerchen, das, wie auf einem
typischen Filmset von Scheinwerfern umgeben, den Handlungsrahmen
räumlich eingrenzt. Darin stellen die Schauspieler Szenen aus dem Film
nach. Dass sie ihre Aufgabe gut machen, kann man mitverfolgen, die
Originalszenen flimmern synchron über einen Bildschirm. Aus dem
angekündigten Monolog über Angestelltenverhältnisse, Lebensläufe und
Polizisten wird eine Selbstfindungsakademie für Schauspieler, die
fühlen wollen, was ihre Vorgänger bei Godard fühlten, als sie die
jungendlichen Revolutionäre spielten. Auch damit ist weder die Welt zu
retten noch dem postdramatischen Theater zu neuem Lebenssaft zu
verhelfen.
Private und politische Kurzschlüsse
Bleibt Versuch Nr. 3 der Ungarin Ivana Sajko. Der „rose“ von Gertrud Stein fügt sie eine vierte rose hinzu, und additiv wie der Titel „Rose is a rose is a rose is a rose“ ist auch ihre Performancepartitur. Berichte vom brennenden Rom werden mit denen über Vorstadtkrawalle, Tanzbewerbe und Liebesbeziehungen kombiniert. Die holländisch-belgische Gruppe Wunderbaum lässt diesem großmaschig gestricktem Patchwork-Stoff viel Luft zum Atmen. Auf einem leeren Tanzparkett sitzen sie wie Boxer in ihren Ecken, kostümiert in Retro-Gesellschaftstanzdressen und sprechen sehr deutlich und bildnerisch, manchmal chorisch einen Text, der ohne Figuren auskommt. Nur selten deuten sie dezent die Handlung auch szenisch an, sonst konzentriert man sich auf den komplexen Text. „Rose is a rose...“ beginnt mit der Momentaufnahme einer aufkeimenden Liebesbeziehung, einer gemeinsam verbrachten Nacht und dem morgendlichen Scheiden im Ungewissen über die Zukunft. Wird dies eine bald vergessene Episode sein oder der Beginn einer lebenslangen Verbindung mit all ihren Konsequenzen? Dieses Potenzial, geschöpft aus dem Privaten, schwingt in den nun folgenden, sich durch die Jahrhunderte switchenden Berichte über politische Aufstände und Katastrophen nach und verknüpft scheinbar Unvereinbares. Schönes Sprechtheater also, mit dem zumindest der lange Abend eine gewisse Rettung erfährt.