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corpus - 26.10.2008
Kapitulation vor der Weltrettung
Drei Auftragsstücke am letzten Wochenendes des steirischen herbst mit mässigem Erfolg uraufgeführt

Die Idee, als großes Festival nicht nur ein best off bereits existierender Arbeiten abzufeiern, sondern auch initiativ Werke in Auftrag zu geben und so die Produktion von Neuem zu fördern, ist eine hehre. Erik Altorfer und Florian Malzacher erdachten dafür das Projekt „Welt retten": Vier Autoren wurden um je ein Kurzstück zu dem Slogan gebeten, drei der entstandenen Arbeiten an freie Theatergruppen und -Regisseure weitergegeben. Sie kamen als langer Themenabend eins nach dem anderen am letzten Wochenende des diesjährigen Festivals zur Aufführung. Lola Arias Stück liegt gemeinsam mit den drei szenisch umgesetzten als Buchpublikation vor. Anstatt Rettungsvorschläge zu liefern, kapitulierten die AutorInnen vor der Aufgabe. Lukas Bärfus mit einer biederen Fabel, Johannes Schrettle mit der Hommage an vergangene Revolutionäre, ohne eine Anknüpfung an das Hier und Jetzt zu finden, und Ivana Sajko mit einem Kurzschluss historischer Momentaufnahmen aus Privatsphäre und Politiken.

Hundepärchen als Schülertheater

Der dreistündige Stückemarkt war ein Abend der Steigerung, allerdings von einem erstaunlich tiefen Niveau weg. Der Schweizer Lukas Bärfus hat mit „Biffy & Wutz“ eine szenische Fabel abgeliefert, die banaler kaum sein könnte. Ein Hundepärchen droht daran zu zerbrechen, dass die Hundedame sich ihrer Unterdrückung bewusst wird und rebellieren will, er aber degeneriert sein warmes Plätzchen schätzt und alle Aufregung vermeiden möchte. Puh. Der junge Filmemacher Noël Demesch hat einen hübschen Hundefilm dazu gedreht, der die Geschichte auf zwei Leinwänden eins zu eins abspult, während Monika Klengel und Rupert Lehofer im Vordergrund die menschlichen Hunde in der Manier von Schülertheater dazustellen. Liebe? Ein Blick, der hängen bleibt. Ausgelassenheit? Ein Fangenspiel rund um den Tisch. Intimität? Eng beeinanderliegen unter dem Tisch. Mehr Ebenen eröffnen sich in dieser braven Pseudorevolution nicht. Welt nicht gerettet, Revolutionär trotzdem tot.

Revolutionäre Selbstfindung für Schauspieler

Johannes Schrettles Stück „kollege von niemand" trat zunächst eine vielversprechend lange Reise an. Die Hommage des jungen Grazers an Jean-Luc Godard und seinem Film „La Chinoise“ von 1967 über fünf junge Revolutionäre, die sich in einer bürgerlichen Pariser Wohnung in den Thesen Maos ergehen, um eine sozialistische Lebenspraxis zu finden, wurde dem argentinischen Regisseur Mariano Pensotti übereignet, der sie mit vier Schauspielern auf Spanisch umgesetzt hat.
Drei Welten wurden also miteinander konfrontiert: Das Paris kurz vor der Studentenrevolution, die Lebenswelt der jungen argentinischen Künstler und dazwischen Johannes Schrettles Umgang mit Godards Film. Ein komplexes Setting, sollte man meinen, und auch ein Text, der vor assoziativen Ideen nur so strotzt.
Pensotti sperrt diese Welt in ein enges Zimmerchen, das, wie auf einem typischen Filmset von Scheinwerfern umgeben, den Handlungsrahmen räumlich eingrenzt. Darin stellen die Schauspieler Szenen aus dem Film nach. Dass sie ihre Aufgabe gut machen, kann man mitverfolgen, die Originalszenen flimmern synchron über einen Bildschirm. Aus dem angekündigten Monolog über Angestelltenverhältnisse, Lebensläufe und Polizisten wird eine Selbstfindungsakademie für Schauspieler, die fühlen wollen, was ihre Vorgänger bei Godard fühlten, als sie die jungendlichen Revolutionäre spielten. Auch damit ist weder die Welt zu retten noch dem postdramatischen Theater zu neuem Lebenssaft zu verhelfen.

Private und politische Kurzschlüsse

Bleibt Versuch Nr. 3 der Ungarin Ivana Sajko. Der „rose“ von Gertrud Stein fügt sie eine vierte rose hinzu, und additiv wie der Titel „Rose is a rose is a rose is a rose“ ist auch ihre Performancepartitur. Berichte vom brennenden Rom werden mit denen über Vorstadtkrawalle, Tanzbewerbe und Liebesbeziehungen kombiniert. Die holländisch-belgische Gruppe Wunderbaum lässt diesem großmaschig gestricktem Patchwork-Stoff viel Luft zum Atmen. Auf einem leeren Tanzparkett sitzen sie wie Boxer in ihren Ecken, kostümiert in Retro-Gesellschaftstanzdressen und sprechen sehr deutlich und bildnerisch, manchmal chorisch einen Text, der ohne Figuren auskommt. Nur selten deuten sie dezent die Handlung auch szenisch an, sonst konzentriert man sich auf den komplexen Text. „Rose is a rose...“ beginnt mit der Momentaufnahme einer aufkeimenden Liebesbeziehung, einer gemeinsam verbrachten Nacht und dem morgendlichen Scheiden im Ungewissen über die Zukunft. Wird dies eine bald vergessene Episode sein oder der Beginn einer lebenslangen Verbindung mit all ihren Konsequenzen? Dieses Potenzial, geschöpft aus dem Privaten, schwingt in den nun folgenden, sich durch die Jahrhunderte switchenden Berichte über politische Aufstände und Katastrophen nach und verknüpft scheinbar Unvereinbares. Schönes Sprechtheater also, mit dem zumindest der lange Abend eine gewisse Rettung erfährt.


Judith Helmer






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