Kronen Zeitung - 11.10.2008
Elektronische Festival-Ouvertüre
"musikprotokoll" im "steirischen herbst" in Grazer GMD:
Das Programm des "musikprotokolls" dokumentiert - das ist wohl auch
seine Aufgabe - die Paradigmenwechsel, die in der jüngeren
Vergangenheit in der Neuen Musik stattgefunden haben. Der erste Tag des
Festivals für zeitgenössische Musik rückte weitgehend die elektronische
Klangproduktion in den Mittelpunkt. Der im Rahmen von "ECAS" gepflegte
kulturelle Austausch brachte Musik aus Österreich und Norwegen in die
Generalmusikdirektion.
Während noch vor wenigen Jahren die
Elektroniker eher das Rahmenprogramm zu Kammer- und Orchestermusik zu
bestreiten hatten, ist diese Musik mittlerweile im
"musikprotokoll"-Zentrum angelangt. Natürlich ist die Elektronik seit
den 60-ern fixer Bestandteil der zeitgenössischen Ernsten Musik. Damals
war sie Speerspitze der Avantgarde und meist als Erweiterung in "klassische" Kompositionsmodelle eingebettet. In der
Gegenwart, in der Fortschrittsglaube und damit der Begriff Avantgarde
auch in der Kunst ausgedient haben, zeugt die Hinwendung zur Elektronik
vielmehr von einer Mischung der Spähren. Viele dieser Musiker kommen
aus dem Neuen Jazz, aus der freien Improvisation, aus avancierteren
Popmusik-Kontexten. Meistens, das zeigte auch der
"musikprotokoll"-Abend, handelt es sich nicht um Komponisten, sondern
um Performer.
Dem "ECAS"-Netzwerk ist zu verdanken, dass
Musiker aus Norwegen den Weg nach Graz fanden. Pal Asle Pettersen
spielte die introvertierte Ouvertüre, entlockte seinem Laptop wenig
strukturiert wirkendes Knistern und Knacksen. Das klang mehr nach
Geduldsprobe als nach Musik. Ungleich kurzweiliger agierte das Duo
"frufru" Maja Osojnik und Angelica Castell¢, das mit langem Atem
Soundwallungen aufbaute und mit abrupten Brüchen spielte: gut, aber ums
Kennen zu lang.
Beim aus Stavanger kommenden Kitchen Orchestra
stand - die Ausnahme zur Regel - nicht Elektronik, sondern
konventionelles Instrumentarium im Mittelpunkt. Man spielte Jazziges,
folkloristisch Anmutendes, manchmal filigran, manchmal verdichtet:
nicht übel, aber deutlich zu lang.
Zum Schluss mühte sich Jorge
S nchez-Chiong an den Plattentellern gegen die Dampfwalzen-Beats
Alexander J. Eberhards anzukommen. Der angekündigte "entstellte Blick
aufs Musik-Erbe Österreichs" chiffrierte das Erbe zur Unkenntlichkeit.
Rasant.
Martin Gasser