created with wukonig.com
Kleine Zeitung - 05.10.2008
DIE KOMPLEX NORD-METHODE
Baumwolle, die nicht am Ich kratzt

Statt eines Sitzplatzes bekommt man auf der Psychiatrie-Station des Kollektivs "Signa" beim steirischen herbst ein Gitterbett zugewiesen. - Wie sich der Patientenkittel dort anfühlt.

Schön, dass du wieder hier bist, Katinka!" Eine warme Hand zieht mich aus dem Sofa im Warteraum, das Linoleum unter mir ist zum Einsinken weich, wie betäubt. Die Schwester im mintblauen Polyesterkostüm und den weißen Schwesternschuhen schlapft voraus und bringt mich zum Gitterbett.

Bis hier läuft es nach Plan für das radikale dänisch-österreichische Kollektiv Signa und ihr Stück "Komplex Nord" beim steirischen herbst: Ich bin eingeschüchtert. Das hat Methode. Wir, 18 angemeldete Gäste, haben keinen Sitzplatz im Theater, sondern ein Bett in der Psychiatrie gebucht. Diagnose: Amnesie. So der Ausgangspunkt.

Es läuft der Channel Of Social Education. "Es ist verboten, den Fernseher ohne Erlaubnis abzuschalten oder leiser zu drehen", steht auf dem Zettel, der einem in die Hand gedrückt wird. In Rollen muss man schlüpfen. Umziehen! Vor allen. Raus aus dem Ich, rein in die Rolle. Weiße XL-Baumwollunterhosen (Grüße von Bridget Jones!), BH, Spitzen-Unterhemd, das Shirt, hinten offen, und weiße Socken, die vorne nicht mehr weiß sind.

Nähe & Distanz

"I bin die Diana Perlspiel. Wiederholen wir des erst mal", sagt meine Schwester in sanftem Dialekt, ihre Augen stehen weit offen. Und wenn sie mit mir redet, kommt sie mir einen Tick zu nahe. "Und du bist Katinka. Katinka Dixon." Steckt mir ein Namenschild an und trägt mein Hab und Gut davon. In Plastiksäcken.

Wir sitzen da, in den Hemden, innerlich geschrumpft, die Füße baumeln vom Bett, die Schwestern bringen grässliche Plastikschlapfen. Es ist ein Spiel mit Nähe und Distanz. Eines, in dem alles und nichts vorgegeben wird.

Wir wirken wohl ziemlich hilflos. Eine kichert, der andere rollt sich im Gitterbett ein. Wir beäugen den Raum, die Gestelle sind

an beiden Wänden aufgefädelt: Esstisch, Schreibtisch, drei Fernseher, ein Bild des Präsidenten, Sesselkreis. Der Mix aus dem Parfüm der Schwestern und Zigarettenrauch beschwert die Luft. Am Lack der Möbel wurde kräftig gekratzt.

"Möchtest du etwas trinken?", säuselt eine Schwester. Autsch! Ich werde mich noch öfter am Blechbecher verbrennen. Sesselkreis: Oberärztin Dr. Dorine Chaikin (Signa Sørensen), erläutert die Komplex-Nord-Methode mit Dia-Folien. Ihr Scheitel ist so streng wie ihr Blick. "Wer kann sich noch an sein letztes Mal hier erinnern?" Einer der drei Profi-Patienten, die auch im echten Leben schauspielern, zeigt auf. Dann singen wir ein "Guten Morgen Lied", später "If You're Happy . . .".

Streng & sanft

Wir reden, was wir beim Anblick eines Autos mit offener Tür empfinden. Wir fragen nach etwas zu lesen und bekommen ein Bauernhof-Bilderbuch. Wir sollen unsere Gefühle gegenüber Ärzten in Tönen ausdrücken. Wir werden vom komischen Bela Hirsch (Arthur Köstler) angeflirtet. Blödeln mit dem Stations-Kasperl. Löffeln Kartoffel-Nudeln-Zwiebel-Suppe mit ungetoastetem Toastbrot. Sind gleichzeitig manipuliert und frei. Geleitet und planlos.

Das verwirrt. Ordentlich. Aber das Spiel schafft es weder, am Ich zu kratzen, noch eine Scheinidentität aufzubauen. Es bleibt zu viel und zu wenig dominiert. Zu streng und zu sanft.

Dass es die fiktive Psychiatrie nicht zur realen Verstörung schafft, das verstört wirklich.

"Hat da Doktor scho über eine Verlängerung mit dir geredet, Katinka? Das wäre für deine Heilung förderlich." Wer ich bin? "Lass' es mich einfach ausdrücken, Katinka, du warst ein wenig aggressiv anderen gegenüber." Der Rest bleibt offen, wie mein Hemd auf der Rückseite.


Julia Schafferhofer






Bitte installieren Sie den Flash Player 9.
Sie können Ihn kostenlos unter folgender Adresse herunterladen: http://www.adobe.com/go/getflashplayer/